Attac verliert Status der Gemeinnützigkeit

Bundesfinanzhof: Organisation wolle konkrete Lösungsvorschläge zu bestimmten allgemeinpolitischen Themen durchsetzen

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München. Nach jahrelangem Rechtsstreit hat das höchste deutsche Finanzgericht dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac wegen »tagespolitischem Aktivismus« die Gemeinnützigkeit aberkannt. Der Bundesfinanzhof (BFH) kommt in dem am Dienstag in München veröffentlichten Urteil zu dem Schluss, dass die von Attac geführten Kampagnen keine gemeinnützige politische Bildungsarbeit seien. Der fünfte Senat verweist in der Entscheidung auf die Abgabenordnung, in der insgesamt 25 gemeinnützige Tätigkeitsbereiche festgelegt sind. Dazu zählen unter anderem der Sport, der Umweltschutz, die Wohlfahrt und die Volksbildung, nicht aber die Tagespolitik - auch Parteien sind im Steuerrecht nicht gemeinnützig.

Attac habe ganz konkrete Lösungsvorschläge zu bestimmten allgemeinpolitischen Themen durchsetzen wollen, etwa zum Sparpaket der Bundesregierung, der Bekämpfung der Steuerflucht oder zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Unbequeme Gemeinnützigkeit
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Der BFH betonte ausdrücklich, dass es nicht um die politischen Inhalte von Attac gehe, sondern um die Grundsatzfrage, ob »allgemeinpolitische Tätigkeit« mit der Gemeinnützigkeit vereinbar sein könne. Wie BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff und seine Richterkollegen erläuterten, bedeutet das Urteil nicht, dass gemeinnützige Organisationen - etwa Umweltverbände - überhaupt nicht politisch aktiv sein dürfen. Im Vordergrund müsse aber der gemeinnützige Zweck stehen, nicht politische Kampagnen.

Attac warf dem BFH vor, den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als zuletzt das Finanzgericht Kassel in der vorherigen Entscheidung zu setzen. Insbesondere die Förderung der Bildung und des demokratischen Staatswesens werde deutlich eingeschränkt.

Dirk Friedrichs, Vorstand im Attac-Trägerverein, erklärte, dies sei »ein verheerendes Signal für die gesamte kritische Zivilgesellschaft in Deutschland.« Mit großer Sorge werde auf Länder wie Ungarn oder Brasilien geblickt, die die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen unterdrückten. Nun werde auch in Deutschland erlebt, »wie Regierung und Parteien immer öfter versuchen, politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen«.

Die als Dachverband von 80 Vereinen und Stiftungen auftretende Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung erklärte, die enge Interpretation des gemeinnützigen Zwecks Volksbildung gefährde »tausende Vereine und Stiftungen«. Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand des Bündnisses, forderte vom Bundestag mehr Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen.

Er forderte den Gesetzgeber auf, »schnellstmöglich« in die Abgabenordnung zu schreiben, welche Zwecke er für förderwürdig hält. Auch Attac und das Bündnis Campact forderten eine Änderung der Abgabenordnung, um die Gemeinnützigkeit für Gruppen wie Attac zu erhalten.

SPD im Bundestag: »Gemeinnützige Organisationen müssen politisch aktiv sein können«

Die SPD-Bundestagsfraktion erklärte durch ihren finanzpolitischen Sprecher Lothar Binding, dass die Münchner Entscheidung nicht zu einer Beschneidung der politischen Aktivitäten gemeinnütziger Organisationen führen dürfe. »Gemeinnützige Organisationen müssen politisch aktiv sein können - anders ist eine Verfolgung ihrer gemeinnützigen Zwecke nicht effektiv möglich.« Auch Binding erklärte, der Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenverordnung sei »zu eng«. Die SPD-Bundestagsfraktion werde deshalb prüfen, ob das steuerliche Gemeinnützigkeitsrecht angepasst werden muss.

LINKEN-Chef Bernd Riexinger erklärte, die Entscheidung sei »ein Angriff auf das demokratische Grundverständnis in Deutschland«. Forderungen von Attac etwa nach einer Finanztransaktionssteuer oder einer Vermögensabgabe seien im Sinne des Allgemeinwohls. »Folgt man der Argumentation des Bundesfinanzhofes müsste jedem Kaninchenzüchterverein die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.«

Der zu den Mitbegründern von Attac gehörende Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold bezeichnete die Entscheidung als »schwarzen Tag für die Demokratie«. Das Urteil bedeute für viele gemeinnützige Vereine Unsicherheit und finanzielle Risiken.

Wegen des Rechtsstreits können Spenden an Attac seit einigen Jahren nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Die Organisation hatte in den Jahren nach der Finanzkrise unter anderem gegen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank protestiert und eine Finanztransaktionssteuer gefordert.

In der ersten Instanz vor dem hessischen Finanzgericht im Jahr 2016 hatte Attac noch Recht bekommen. Die Arbeit von Attac sei als »Volksbildung« einzustufen, die als gemeinnützig anzusehen sei. Diese Entscheidung hat der BFH in der Revision nun kassiert und das Verfahren an das Finanzgericht zurückverwiesen. Agenturen/nd

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