Philosophie aus dem Wasserhahn

Christoph Ruf über falsche Trainerjäger und die großen Kleinen im Fußballgeschäft

Als der Präsident des VfB Stuttgart im Spätsommer 2018 mal wieder eine Trainerentlassung rechtfertigen musste, kam der SC Freiburg genauso zu Ehren wie er immer dann zu Ehren kommt, wenn ein Mächtiger im Fußball etwas über das große Wort »Kontinuität« sagen zu müssen glaubt. Von Hamburg bis München gibt es ja viele, die finden, dass man einiges von der Art und Weise lernen kann, wie der Sportclub sein Kerngeschäft versieht. Ruhig, unaufgeregt und mit einem Plan, der die nächsten beiden Spieltage überdauert. Nur: So wie der SC Freiburg, so machen es eben die wenigsten anderen Vereine.

Jedenfalls nicht Stuttgart, wo sie im Januar 2018 Tayfun Korkut als Trainer verpflichteten, ihm nach erfolgreicher Rückrunde ohne jede Not einen hoch dotierten Zweijahresvertrag gaben. Und ihn wenige Wochen später rauswarfen, um den nächsten teuren Trainer zu verpflichten, der natürlich auch schon wieder zur Diskussion steht.

Nun macht auch Freiburg Fehler. Aber im Kernbereich, also immer dann, wenn es beim Fußball um Fußball geht, kann der SC viele der entscheidenden Fehler, die die meisten anderen Profivereine Jahr für Jahr Millionen kosten, gar nicht machen. Vor allem, weil sich der Verein als Geschäftsgrundlage etwas gegeben hat, was in einer Branche, die ihre eigene Hohlheit gerne durch möglichst pathetische Worte zu kaschieren versucht, »Philosophie« genannt wird. Man kann es auch viel einfacher formulieren: Der SC hat Prinzipien. Wie der Verein in seiner Grundausrichtung funktioniert, ist dabei unabhängig von den jeweils handelnden Personen - das würden Schalke, Hannover oder der Hamburger SV auch gerne einmal von sich behaupten.

Doch »Stabilität« und »Kontinuität«, um die der SC so oft beneidet wird, wird an der Schwarzwaldstraße 117 ja nicht durchs Leitungswasser angeliefert. Es sind vielmehr die Ergebnisse der ganz konkreten Alltagsarbeit und der Tatsache, dass die Personalentscheidungen auf der höchsten Ebene oft sitzen - Ausnahmen bestätigen die Regel. So stehen die Chancen extrem gut, dass man bessere Transfers tätigt oder einen Trainer findet, der länger als ein paar Monate dort arbeiten kann. Seit 1991 gab es überhaupt erst vier Cheftrainer beim Sportclub - darunter den Sechs-Monate-Trainer Marcus Sorg. Der derzeitige Coach, Christian Streich, ist seit Dezember 2011 im Amt und damit natürlich dienstältester Trainer der Liga. Streich und sein Trainerteam haben gerade übrigens mal wieder ihren Vertrag verlängert.

Leider sind viele von uns Journalisten allerdings genauso plan- und prinzipienlos wie so viele Funktionäre, wenn es darum geht, das zu bewerten, was sie auf dem Platz sehen. Nicht selten hat man den Eindruck, ein Kollege versteht sich eher als Jäger denn als Beobachter oder Analytiker. Als Vollstrecker, der erst dann zufrieden ist, wenn er einen kapitalen Funktionär, sei es einen Manager oder einen Trainer, »abgeschossen« hat. Einige benutzen dann sogar diesen Begriff. Dann werden die Trainer so lange gefragt, ob sie noch die Rückendeckung des Managements spüren, bis die Manager plötzlich denken, sie hätten keine Rückendeckung bei den Journalisten mehr, wenn sie nicht den Trainer rauswerfen. Und wenn der Trainer weg ist und dessen Nachfolger zwei Spiele hintereinander nicht gewinnt, schreiben die gleichen, die den Vorgänger erledigt haben, dass der »Effekt des Trainerwechsels verpufft« sei.

Sich vom Heulen der Wölfe freizumachen, ist eine echte Charakterleistung, doch sie kann sich lohnen. Das hat der FSV Mainz 05 in der vergangenen Saison gemerkt, als Trainer Sandro Schwarz so lange angezählt wurde, bis der letzte Journalisten-Darsteller kapiert hatte, dass es den Manager Rouven Schröder nicht interessiert, was Leute schreiben, die noch nie ein Training des Trainers gesehen haben, dem sie schlechte Arbeit attestieren.

Als der FC Augsburg am vorletzten Wochenende mit 1:5 in Freiburg unterging, verdoppelte sich gefühlt die Zahl der Kollegen, die fand, dass man Manuel Baum entlassen müsse. Am Freitag hat Augsburg 2:1 gegen Dortmund gewonnen. Der FCA wird - diese Prognose sei gestattet - genauso wenig absteigen wie Freiburg und Mainz. Irgendwas werden die drei also wohl richtig machen. Doch was das genau ist, werden viele andere Vereine nie begreifen. Vor allem, weil sie zu borniert sind, um sich wirklich dafür zu interessieren, was die vermeintlich kleinen Vereine zu den wirklich Großen des Geschäfts macht.

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