Eine Flucht in Farce und Parodie

»Kriegsbeute« am Berliner Ensemble

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Zeitpunkt hätte kaum günstiger sein können. Nur einen Tag nachdem die Waffenfirma Heckler & Koch wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko zu einem Bußgeld in Millionenhöhe und verantwortliche Mitarbeiter zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, kam im Kleinen Haus des Berliner Ensembles »Kriegsbeute« zur Uraufführung.

Das Stück beschäftigt sich mit dem Geschäft der Kriegsmaschinerie. Es ist ein Produkt der Autorenwerkstatt, die Intendant Oliver Reese zu Beginn seiner Amtszeit eingerichtet hat. Geschrieben haben das Stück der 1980 geborene Burhan Qurbani und der 1978 geborene Martin Behnke. Zusammen hatten sie das Drehbuch für den Film »Wir sind jung. Wir sind stark.« über die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen Anfang der 1990er Jahre verfasst, bei dem Qurbani auch Regie führte. Nun folgte ihr erstes Bühnenwerk. »Kriegsbeute« zeigt die Familie Bloch, die von der Herstellung und dem Verkauf von Waffen lebt. Der alte Vater leitet die Firma, die Mutter ist vor Jahren schon verstorben; es gibt die ehrgeizige Tochter Maria, den pazifistischen Start-up-Typen Johannes und die technologieaffinen Zwillinge. Dazu kommen die Haushälterin Lea und ein rätselhafter Gast namens Simon, ein überschaubares Ensemble an Figuren also. Reale Vorbilder könnte man beispielsweise bei den Familien Bode oder von Braunbehrens vermuten, die Eigentümer des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann sind. Es ist bekannt, dass sich unter den Besitzern auch Philanthropen, linke Künstler und anderweitig Wohltätige befinden. Da geht es den Waffenhändlern wie den anderen Kapitalisten: Die Notwendigkeit, mit ein paar milden Gaben zum Erhalt des sozialen Friedens beizutragen, ergibt sich schon aus dem Interesse, die Eigentumsordnung aufrechtzuerhalten.

Der Patriarch Friedrich Bloch tritt zunächst auch als solcher auf. Eine überlange Robe hinter sich schleppend, auf der Brust das Firmenemblem, ein B mit Revolver, schaut sich der von Martin Rentzsch gespielte Firmenchef an, wie Johannes in einer Fernsehdokumentation mitteilt, dass er Pazifist sei. Das treibt dem Alten die Tränen in die Augen, er stößt mehrfach »Idiot!« aus. Einer müsse es ja machen, er bediene nur einen Markt. Doch plötzlich setzt ein abrupter Sinneswandel ein. Er verbringt seine Nächte fortan im Nachtasyl, kümmert sich um die Obdachlosen, investiert Kapital in die firmeneigene Stiftung zu wohltätigen Zwecken, später schließt er noch die Entwicklungsabteilung und legt gar die Produktion völlig still. Warum? Das Publikum kann, wie auch seine Sprösslinge, nur mutmaßen. Sollte etwa ein Gespräch mit der toten Frau Auslöser der Kehrtwende sein? Maria, von Annika Meier im Hosenanzug mit gepolsterten Schultern gespielt, Johannes, Gerrit Jansen mit langen Haaren, Brille und Korsett über dem schmerzenden Magen, sowie die Zwillinge, dargestellt von Owen Peter Read mithilfe eines Puppenkopfes auf der linken Hand, sind mit der neuen Linie überhaupt nicht einverstanden. Sie vermuten, dass der Alte nun völlig irre geworden ist. Auch der Vorstand informiert, dass Anleger, Handelspartner, Regierungen und Gewerkschaften sich durchweg wenig erfreut zeigen dürften.

Johannes greift als Erster zur Waffe, doch ist zu gehemmt, um abzudrücken. »Wenigstens eine Bloch?«, fragt der Vater noch. Den Abzug drückt dann Maria. »Einer musste es ja tun«, kommentiert sie lakonisch. Irgendwie hat dann jeder eine Wumme in der Hand, auch die Zwillinge erwischt es; dazu gibt es noch eine Geschichte von dem verschwundenen Sohn Peter, und die von Nora Quest gespielte Lea stellt sich als uneheliche Tochter des Alten heraus. Eingestreut sind Katastrophenmeldungen über Flüchtlingstrecks, meuternde Bundeswehrsoldaten und ein Exkurs über Bump Stocks. Nachdem der Vater beseitigt ist, gibt es eine neue Linie, faires Mordwerkzeug, ökologisch verträglich und biologisch abbaubar. Nicht nur der humane, auch der saubere Krieg.

Die 1986 geborene Regisseurin Laura Linnenbaum gibt sich bei ihrem Debüt am Haus alle Mühe, den Text mit zahlreichen Einfällen auf die von Valentin Baumeister wie ein Abfluss gestaltete Bühne zu bringen; auch die Kostüme von Michaela Kratzer überzeugen. Das kann man vom Text keineswegs behaupten. Weder erfährt man etwas Substanzielles über den Krieg und die Geschäfte, die damit gemacht werden, noch gelingt das Porträt einer Familie. Die Figuren sind platt und ohne eigene Sprache. Den Autoren scheint unbekannt, dass in der dramatischen Literatur die Figuren nicht nur informieren, was sie gerade tun, sondern auch darüber, was sie für Ansichten, Absichten und Beweggründe haben. Der Handlung fehlt Zusammenhang und auch Konflikte. Nur einmal wird etwas in der Art angedeutet, als der Vater seinen Hippiesohn wissen lässt, dass dieser sich seine hochtrabende Moral nur aufgrund der Profite aus den Waffengeschäften leisten könne. Das Stück flüchtet sich in die Farce und Parodie. Das aber ist ein Zeichen, dass eine ernste und ernstzunehmende Auseinandersetzung misslungen ist. Da hilft auch der günstige Zeitpunkt nichts.

Nächste Aufführungen: 29. und 30. März.

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