»Jeder Tag ist Frauenkampftag«

In Berlin und überall in Europa gingen Frauen auf die Straße und streikten.

  • Philipp Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Freitagmorgen ist es ruhig in den Straßen von Berlin - ob dies nun am Feiertag liegt oder am Frauenstreik, kann man nicht sagen. Der Streik jedenfalls ist in vollem Gange. Für 20 Städte waren Aktionen angekündigt, und im ganzen Land legten Frauen* ihre Lohn- sowie Sorgearbeit nieder. Begleitet wurde dies von den alljährlichen Demonstrationen zum Frauenkampftag, die schon 2018 mehr als 20.000 Menschen auf die Straßen brachten. Am Nachmittag, kurz vor Redaktionsschluss, setzte sich ein nicht überschaubarer Zug am Alexanderplatz in Bewegung.

Die jedes Jahr stattfindende Berliner Demonstration wird von einem breiten Bündnis getragen, bei dem Frauengruppen, aber auch Parteien wie die LINKE oder andere politische Initiativen vertreten sind. Dieses Jahr gab es zehn verschiedene Blöcke mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Neben dem schon erwähnten Frauen*streik-Netzwerk wollte beispielsweise das »Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung« auf die andauernde Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aufmerksam machen. Auch das Thema Pflege nahm einen prominenten Platz mit eigenem Block ein.

Frauentag 
international

An unzähligen Orten der Welt fanden Demonstrationen und Kundgebungen zum Internationalen Frauentag statt. Eine Auswahl.

  • Manila, Philippinen: Aktivistinnen demonstrieren gegen ihre Regierung, das Kriegsrecht auf der Insel Mindanao und für Gleichberechtigung.
  • Brüssel, Belgien: Demonstrantinnen ziehen vor den Sitz des Europäischen Parlaments.
  • Nairobi, Kenia: Hunderte Frauen machen auf häusliche und sexualisierte Gewalt sowie ungleiche Löhne aufmerksam.
  • Neu Delhi, Indien: Frauen demonstrieren und prangern Gewalt gegen Frauen und Diskriminierung am Arbeitsplatz an.
  • Kiew, Ukraine: Keine Gewalt gegen Frauen, heißt es bei einem Demonstrationszug.
  • Seoul, Südkorea: Gewerkschafterinnen fordern Gleichberechtigung und bessere Arbeitsbedingungen für Frauen.
  • Melbourne, Australien: Frauen zeigen ihre Solidarität u.a. mit Flüchtlingsfrauen, die in australischen Lagern auf der Insel Nauru festgehalten werden.
  • Bischkek, Kirgisistan: Demonstrantinnen fordern vor dem Sitz ihrer Regierung Gleichberechtigung für Frauen und Schutz vor Gewalt.
  • Belgrad, Serbien: Aktivistinnen versammeln sich hinter einem Transparent mit der Aufschrift »Jobs, kein Hunger! Essen, keine Waffen!«.
  • Bern, Schweiz: »Solidarität für Frauen* – Solidarität unter Frauen*« heißt es bei einer Demonstration. nd/mit Agenturen

Manche wollten es jedoch auch radikaler. Unter dem Slogan »Feminism is classwar« (Feminismus ist Klassenkampf) gingen die antifaschistische Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« und das kommunistische »... ums Ganze!«-Bündnis auf die Straße. »Kapitalismus und Patriarchat müssen zusammen gedacht werden«, so die Sprecherin Luise Mayer. Die mehrfache Diskriminierung von Frauen in dieser Gesellschaft müsse anerkannt werden. »Unsere kommunistische Vision ist die einer Gesellschaft, in der Reproduktion und Produktion solidarisch vergesellschaftet sind.«

Zuvor setzten sich Frauen* bei der Aktion »Fünf vor Zwölf« demonstrativ auf Stühle im öffentlichen Raum, um diesen zu blockieren. Am Robert-Koch-Platz in Berlin-Mitte kamen zu diesem Zweck rund 300 Menschen zusammen. Sie wurden von Beschäftigten der Charité unterstützt. Die »Streik«-Rufe trug der stürmende Wind trotz pünktlich einsetzenden Platzregens weit durch die Straßen.

Allerdings hatte die Aktion eher symbolischen Charakter. Viele Menschen waren nicht unterwegs, die sie beobachten konnten; eine richtige Blockade kam nicht zustande, da man auf der Grünfläche blieb. Der Effekt mag so allerdings auch nicht messbar sein. Die Sorgearbeit im Haushalt, die auch bestreikt wurde, ist schwer auf die Straße zu bringen - aber trotzdem noch da. Beim Frauenstreik gilt: Das Private ist politisch. Wie viele Frauen* sich beteiligten, ist schwer zu sagen.

Schon vorher war Pressesprecherin Kerstin Wolter vom Frauen*streik-Netzwerk klar, dass hierzulande dieses Jahr noch keine fünf Millionen Streikende zu erwarten sein würden wie voriges Jahr in Spanien. »Dort führen Frauen einen ganz anderen Widerstand«, so Wolter im Gespräch. Dies sei auch durch die entstandene Protestkultur in den Krisenjahren beeinflusst worden. Davon beeindruckt gründete sich in Deutschland ein Netzwerk, das den alljährlichen Protest zum 8. März radikalisieren möchte. »Wir möchten nochmal eine Schippe drauflegen«, so die Sprecherin. Nach vermehrten Aktionen zum Frauen*kampftag in den letzten Jahren wollte man nun mit dem Streik den Druck erhöhen. Und auch die Termine zum Frauenstreik 2020 stehen jetzt schon fest.

Für Männer heißt der feministische Streik an diesem Sonntag: in die Reproduktion! Das dachte sich zum Beispiel Vincent Grothe. »Auch politische Arbeit ist stark von Männern geprägt«, so Grothe. Er wollte den Frauen*streik unterstützen - ohne öffentlich sichtbare Positionen zu übernehmen. Die Idee kam an: Am Streiktag halfen nach eigener Aussage rund 40 Männer bei Reproduktionsaufgaben. Grothe organisierte mit anderen Männern ein Café mit Kinderbetreuung in Neukölln. Doch auch das sei nicht unproblematisch: »Ich denke schon, dass da noch viele Widersprüche drin liegen.« Man könne in einem Moment solidarisch mit dem Streik sein, aber zwei Stunden später schon wieder sexistisch handeln.

Bei den Aktionen sind immer wieder auch viele junge Menschen zu sehen. Auf der Demonstration waren sie mit einem eigenen Block vertreten. »Für uns ist eigentlich jeder Tag Frauenkampftag«, sagt die 17-jährige Mitorganisatorin Elif Dogan dem »nd«. Gerade in der Jugend werde Frauen, aber auch Männern, die klassische Rollenverteilung beigebracht. »Das Bild der gut organisierten und emotional zugänglichen Frau und des harten, aber etwas chaotischen Mannes wird verfestigt.« Doch die Jugendlichen wehren sich dagegen. Das Thema Feminismus sei bei vielen präsent. Dies sei in Zeiten des Rechtsrucks ein Anlass zur Hoffnung. Dogan: »Natürlich wird die Zukunft feministisch sein - fragt sich nur, ab wann.«

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