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Kein Betriebsunfall, eher ein Brandbeschleuniger

Donald Trump - Symptom, nicht Ursache der gesellschaftlichen Krise in den USA

  • Karl Drechsler
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Teil der Medien vertritt direkt oder indirekt die Ansicht, der amtierende US-Präsident, und nur er, sei das Problem. Mit seinem Abgang nach einer oder möglicherweise auch zwei Amtsperioden wird es sich mehr oder weniger von selbst lösen, Normalität wieder einziehen. Im Unterschied dazu vertreten insbesondere Politikwissenschaftler, die Meinung: Trump ist nicht die Ursache, sondern nur das Symptom der gegenwärtigen gesellschaftlichen Krise in den USA. Er sei kein Betriebsunfall der Geschichte, sondern Ergebnis von Fehlentwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vergangener Jahrzehnte. Zu dieser Auffassung bekennen sich auch die Autoren dieses Bandes.

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Patrick Horst/Philipp Adorf/Frank Decker (Hg.): Die USA – Eine scheiternde Demokratie?
Campus, 406 S., geb., 34,95 €.

Schon in der Einleitung warnen die Herausgeber Patrick Horst, Philipp Adorf und Frank Decker vor der Gefahr, sich »ganz von der Larger-than-Life-Persönlichkeit des Mannes im Weißen Haus gefangen nehmen zu lassen«. Die Krise in der US-amerikanischen Demokratie gehe weit über ihn hinaus. Trump sei allenfalls so etwas wie ihr »Brandbeschleuniger«. Die Frage, »ob ein Abgleiten der Vereinigten Staaten in den Autoritarismus denkbar ist«, sei akut. Für die gewählte Legislative ist es schwierig, »einen Präsidenten mit autokratischen Gelüsten in Schach zu halten«.

Auch Robert Mickey, Steven Levitsky und Lucan Ahmat verweisen darauf, dass seit den 1980er Jahren die politische Polarisierung und Radikalisierung der Republikanischen Partei die institutionellen Fundamente geschwächt habe, die von jeher den Fortbestand der amerikanischen Demokratie sicherten. Es gebe keine Garantie gegen einen Rückfall ins Autoritäre. Andere Autoren äußern sich etwas zurückhaltender: Es sei nicht gerechtfertigt, schon von einer »defekten Demokratie« zu sprechen, dafür eher von einer »Krise der liberalen Demokratie«, die sich auch in den politischen Einstellungen der Amerikanerinnen und Amerikaner widerspiegele.

Boris Vormann und Christian Lammert konstatieren, dass das Misstrauen gegenüber den Regierenden zugenommen hat. Die wachsenden Klassenunterschiede beeinflussen die politischen Prozesse immer stärker. Seit Jahrzehnten werde eine Politik verfolgt, die vor allem den Wohlhabenden diene, die Reichen reicher gemacht und die Mittelklasse im Stich gelassen habe. Die politischen Eliten hätten den Kontakt zur Bevölkerung verloren, setzten vermehrt auf die Interessen der oberen Einkommensgruppen. Der zunehmende Einfluss von Geld und Lobbyismus auf die Politik führe zu einer virulenten Elitenkritik, die Trump ausnutze. Die damit entstandene Schieflage im politischen Prozess gefährde letztlich das Funktionieren der Demokratie. Nur ein begrenzter Teil der Bevölkerung habe noch Einfluss auf die Politik.

Christiane Lemke diagnostiziert einen »entfesselten Kapitalismus«: »Vor dem Hintergrund bereits bestehender Ungleichheit trägt die Trump-Regierung zu einer weiteren Machtverschiebung zugunsten der Vermögenden bei.« Betsy Leimbigler und Christian Lammert fragen in ihrem Beitrag über die Gesundheitspolitik provokativ, ob die USA überhaupt noch als Demokratie bezeichnet werden können oder ob nicht Oligarchie der zutreffendere Begriff sei. Für Sabine Sielke ist die Niederlage von Hillary Clinton in der Präsidentschaftswahl von 2016 »kein Unfall der Geschichte, sondern Teil des Erbes einer grundlegend kompromittierten Demokratie«.

Mehrere Autoren wünschen sich ein Impeachment-Verfahren gegen Trump, halten dieses aber auch für problematisch, weil die US-Demokratie dadurch einer weiteren Belastungsprobe ausgesetzt werde - gleichbedeutend einer Operation am offenen Herzen. Frank Decker hält das Gremium der Wahlmänner und -frauen, das Electoral College, das letztlich den Präsidenten wählt, für einen Anachronismus, eine »antiquierte Institution, die aus der Postkutschenzeit stammt«. Jan Philipp Burgard stellt fest , dass die amerikanische Rechte nicht erst seit Trump, sondern schon seit Langem mediale Kritik an ihrer Politik zurückweist.

Laut Bradley Podliska kommt der Kongress seiner Verantwortung, die Bürger vor der Überwachung durch die Geheimdienste umfassend zu schützen, nicht nach. Die restriktive Einwanderungspolitik Trumps, die unter seinen Wählern sehr populär ist, werde auch in Zukunft von den Republikanern fortgesetzt, befürchtet Martin Thunert. Und Philipp Adorf meint, dass Trump unterschwellig an rassistische Ressentiments appelliere. Claus Leggewie stellt in seiner Bilanz der »Trumpokratie« fest, dass Trump wie Putin und Erdogan den geopolitischen Status der EU unterminiere.

Natürlich ist es schwer, in einem Band alle relevanten Themen aufzunehmen. Einige hätten aber doch noch berücksichtigt werden können: zum einen jene Hälfte der Bevölkerung, die aus ganz unterschiedlichen Motiven Trump wählte und anschließend unterstützte (alte weiße Männer, von der Demokratischen Partei Enttäuschte, prinzipielle Establishment-Kritiker, traditionell Konservative oder Ultrakonservative, Verlierer der Globalisierung usw.), zum anderen die Motive, Zielstellungen und Aktionen der Trump-Gegner unterschiedlicher Couleur.

Schließlich hätte man sich gewünscht, dass die nahezu von allen Autoren benannten Fehlentwicklungen vergangener Jahrzehnte etwas ausführlicher dargelegt worden wären. Mit dem abrupten Abbruch der sozialliberalen Reformen von Franklin D. Roosevelt bis Lyndon B. Johnson Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre gewannen Konservatismus und Neoliberalismus an Boden. Ein Prozess der Radikalisierung der Republikaner und eine Rechtsentwicklung beider Parteien begannen. Unter Reagan ging die Schere zwischen einer kleinen Schicht der Superreichen und der Mehrheit der Bevölkerung immer weiter auseinander. Der soziale Frieden im Land wurde zunehmend brüchig. Die politischen Eliten verloren zusehends an Glaubwürdigkeit. Das Gefühl, die Gesellschaft sei in hohem Maße ungerecht organisiert, und der Wunsch nach Veränderungen wuchsen. George W. Bush wollte möglichst alle sozialliberalen Reformen rückgängig machen, nach Meinung mancher Historiker sogar noch die von Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson - zurück ins 19. Jahrhundert!

Bill Clinton wiederum vergab mit seinem Verdikt »Der Wohlfahrtsstaat, wie wir ihn kennen, ist tot« wahrscheinlich die letzte Chance, den Zug nach rechts aufzuhalten. Obama konnte bei allem Positiven seiner Politik an der Spaltung der Nation nichts mehr ändern. Der Boden war bereitet für einen Trump, für einen rechten Populisten mit seinem Angebot einfacher Lösungen für komplexe Probleme.

Die vorliegende Publikation gehört mit ihrer gut fundierten, sachlichen Kritik der Person und Politik Donald J. Trumps zum Besten, was international zu diesem Thema bisher geschrieben wurde. Es bleibt zu hoffen, dass diese Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

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