Das letzte deutsche Genie

Ein Mensch in seinem Widerspruch: Heinrich Breloers Zweiteiler »Brecht«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Sprachfetzen wehen herüber: »Ich werde der Welt zeigen, wie sie wirklich ist.« - »Sie haben ein schäbiges materialistisches Menschenbild ohne Ideale!« - »Man tut seine Pflicht. Und was tust du? - Ich schreibe.« - »Das Leben kennt keine Moral.« - »Ich komme mir wie die Gestalt in einem Buch vor, das ich gelesen habe.«

Drei Stunden televisionärer Brecht flirren vorüber: ein Antippen und Fallenlassen, ein Aufpolieren, Nachspielen und Dokumentieren. Die Suche nach letzten Überlebenden einer inzwischen historisch gewordenen Epoche, der die Zeugen abhandengekommen sind. All das im Rahmen der üblichen Sehgewohnheiten, die vor allem eines sein sollen: keine Überforderung des Zuschauers. Darum nur kleine dokumentarische Gesprächshappen, dann schnell wieder bunte Serienwelt.

Soll man nun sagen: Gut, dass es hier wenigstens um jemanden wie Brecht geht, der schließlich nicht irgendwer war, sondern ein wandelnder Widerspruchoperateur am offenen Nerv des 20. Jahrhunderts - dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, Profit und Verbrechen, Macht und Ohnmacht, Ideal und Ideologie auf der Spur? Ein Kommunist ohne Parteibuch, ein überaus geschäftstüchtiger zumal, am Ende mit eigenem Theater im Osten und Verlag im Westen? Ein Mensch in seinem Widerspruch - allein das ist mehr, als heute gemeinhin für zumutbar gilt. Denn diese Geschichte vermag weder zu rühren, noch lässt sie sich einfach als Unterhaltung konsumieren - es geht um etwas.

Heinrich Breloer etablierte kurz nach der Jahrtausendwende mit »Die Manns« das szenische Dokuspiel als Form so erfolgreich auf dem Bildschirm, dass es immer neue Nachahmer gab. Seitdem gibt es fast keinen Dokumentarfilm mehr ohne Spielszenen zur Animation, und allein deren Vorahnung vermag zu nerven. Denn wenn es bei Brecht vor allem um gefährliches Denken geht, dann sind die Spielszenen doch das Gegenteil davon: durchdringend harmlos in ihrer Bebilderung. Etwas, das bei Thomas Mann weniger provoziert als bei Brecht, für den das Theater ein Labor war, in dem die Zuschauer denken lernen sollten.

Ohne das epische Theater und die Verfremdung zu erklären, kann man eigentlich keinen abendfüllenden Brecht veranstalten. Aber so viel Lehrstück geht nicht einmal auf Arte. Um nicht missverstanden zu werden: Man sollte sich die beide Teile von »Brecht« ansehen, es ist ein solides Stück Fernsehunterhaltung - zwar letztlich nur Brecht light, aber von Breloer keinesfalls in denunziatorischer Absicht, sondern mit dem Bemühen unternommen, ihn gutbürgerlich aufzuschließen.

Breloer beginnt in Augsburg zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Der junge Brecht ist gegen vaterländische Propaganda immun. Sein Auftreten scheint geradezu maßlos: »Ich bin das letzte deutsche Genie.« An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht, gerade das lässt ihn (darin seinem Antipoden Stefan George ähnlich) Kreise bilden. Ernst Schumacher schreibt: »Brechts Fähigkeit, Menschen anzuziehen, sie an sich zu fesseln, sie auch auszunützen, entsprach seiner Fähigkeit, ihnen zu geben, ihre Fähigkeiten zu entbinden, sie schöpferisch zu machen.« Am Ende stand dann jedoch immer der Name Brecht obendrüber.

Vor allem die Frauen und Brecht, das scheint für Breloer das eigentliche Thema zu sein. Die Schweizerin Regine Lutz, Anfang der 50er Jahre Schauspielerin am Berliner Ensemble, heute 90-jährig, betont, dass sie sich allen Nötigungen, mit Brecht intim zu werden, verweigert habe. Brecht zeigte sich gekränkt, und kurzzeitig stand sogar die Kündigung im Raum, aber dann ging es wieder ums Theater.

Bereits in Augsburg lassen die Gedichte des damals noch Eugen Brecht heißenden Jungdichters aufmerken. Er besticht durch gute Manieren und weiß, versprechen kann man alles, was man bald darauf schon anderen verspricht. Breloer muss viel weglassen, um einiges zu zeigen. Marie Rose Aman (»Erinnerung an Marie A.«) etwa fällt völlig unter den Tisch, stattdessen sehr ausführlich Bi Bahnholzer, auch in Dokumentaraufnahmen, die sich gut katholisch über den Freigeist Brecht verwundert. Der trägt den »Baal« bereits ebenso in sich wie »Trommeln in der Nacht«. Der Spartakusbund fasziniert ihn, Berlin ebenso.

Tom Schilling ist der junge Brecht (bis 1933). Viele, die den Film bereits sahen, halten gerade ihn für eine gravierende Fehlbesetzung. Zu nett, zu gefällig sei er. Aber Brecht, so wird ihm bescheinigt, konnte ja überaus charmant sein, ebenso wie er grob werden konnte. Wie Schilling gegen sein Schönlingsimage anspielt, das zeigt Energie und jene Wucht, die man bei einer Brecht-Darstellung erwartet. Viel größere Probleme bereitet Burghard Klaußner, der der alternde Brecht (ab 1947) ist. Dieser zweifellos gute Schauspieler gerät hier in einen befremdlichen Gestus der Betulichkeit. Aber wenn etwas nicht zu dem jederzeit im Geiste scharfen Brecht passt, dann das Saturierte.

Breloer versucht - nicht ohne Virtuosität - den Brecht-Kosmos zusammenzuhalten, von Caspar Neher (Franz Hartwig/Ernst Stötzner), Arnolt Bronnen, Elisabeth Hauptmann, Helene Weigel, Ruth Berlau und Kurt Weill, bis zu Theo Lingen, Herbert Ihering und manch anderem. Bald nach der »Dreigroschenoper« jedoch endet der erste Teil. Der zweite beginnt leider wieder 1947 in den USA. Während der hysterischen Kommunistenhatz unter McCarthy, kurz nach seiner Aussage vor dem »Kongressausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Betätigung«, kehrt Brecht über die Schweiz nach Deutschland zurück - und zwar bewusst nach Ost-Berlin, als der für ihn einzig richtigen Option eines anderen, sozialistischen Deutschlands. Unverständlich ist, warum gerade die Exilzeit eine Leerstelle bleibt.

Man spürt, dass Breloer sich unter Druck fühlt, zu zeigen, dass Brecht mit dem »Ulbricht-Regime« nichts im Sinn gehabt habe. Das ist nicht ganz falsch, aber mit Adenauer in Bonn hatte er gewiss noch weniger im Sinn. Brecht bleibt intellektuell ebenso wie mit seiner Theaterästhetik in den frühen 50er Jahren in der DDR ein angefeindeter Solitär. Hier wäre durchaus ein Exkurs über den Formalismusstreit angebracht gewesen, den Kampf innerhalb der ostdeutschen Kunst um Brechts Theater zu zeigen (der Westen konnte damit ohnehin nie etwas anfangen). Brechts Aversion gegen jede Form von Einfühlung und Betroffenheit als kleinbürgerlichem Kitsch, noch mehr gegen den moralischen Zeigefinger (der heute wieder Konjunktur hat), bleibt bei Breloer unterbelichtet. Hier zeigt sich das Manko, die Emigration als für Brecht einschneidende Erfahrung einfach wegzulassen.

So aber kann man den späten Brecht - vor allem sein »Leben des Galilei« (der Intellektuelle, der Macht ausgeliefert, muss sich entscheiden) - nicht verstehen. Die Tragödie, die mit dem Namen Stalins verbunden ist, wird eher von außen kurz angetippt - dabei ist sie für Brecht wohl weitaus wichtiger als alle seine Affären. Die Zeitzeugen, die Breloer, seinem Prinzip treu bleibend, zugleich im Filmdokument und in Spielszenen zeigt, treffen kaum noch ins geistige Zentrum des Brecht-Theaters. Egon Monk und Regine Lutz kommen zu Wort, auch Manfred Wekwerth und B. K. Tragelehn. Isot Kilian und Käthe Reichel müssen für das sexuelle Verlangen Brechts herhalten. Aber von Benno Besson ist nichts zu hören und zu sehen, von Ernst Busch, Erwin Strittmatter, Karl von Appen und anderen wichtigen Beteiligten auch nicht.

Die Brecht-Familie schweigt, Ekkehard Schall existiert nicht und Barbara Brecht-Schall kommt nur ganz am Ende vor, mit Brechts letzten Worten vor seinem Tod: »Lasst mich doch in Ruhe!«

Einen Brecht-Film fürs breite Publikum zu machen, ist fast eine Unmöglichkeit. Der letzte Anlauf dazu, Joachim A. Langs »Dreigroschenfilm« mit Lars Eidinger als Brecht, war eine einzige Peinlichkeit. Breloers Versuch, die schier überbordende Vielfalt an Personen und Motiven in eine plausible Ordnung zu bringen, ist dagegen schon ein halber Erfolg.

»Brecht«, am 22.3. auf Arte, am 27.3. in der ARD, jeweils 20.15 Uhr. Als DVD und VoD ist der Film ab dem 25.3. erhältlich.

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