Göttingen reicht es mit Neonazis

Antifaschisten mobilisieren gegen den Rechtstrend in Südniedersachsen

  • Markus Winter, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.

Hakenkreuzschmierereien, mehrere rechte Gewalttaten und eine aktive Neonazi-Gruppe - die Rede ist nicht etwa von einem der Hotspots der extremen Rechten im Land, sondern von der beschaulichen und eigentlich doch traditionell linksalternativen Universitätsstadt Göttingen. Ihre Demonstration am kommenden Samstag hat die Göttinger Gruppe »Basisdemokratische Linke« daher mit einer klaren Ansage betitelt: »Es reicht! Gegen faschistische Umtriebe in Göttingen und überall«. Sie ruft dazu auf, gegen eine »Clique extrem rechter Personen« aus dem Umfeld der »Identitären Bewegung« und der AfD-Jugendorganisation auf die Straße zu gehen, die gegenwärtig in der Stadt Fuß zu fassen suche und beste Verbindungen zu altbekannten Neonazi-Kadern pflege.

Göttingen hat zwar eine lange antifaschistische Vergangenheit, zugleich aber ist die Stadt immer wieder zum Kristallisationspunkt neonazistischer Aktivitäten in Südniedersachsen sowie im angrenzenden thüringischen Eichsfeld geworden. Als zentrale Figur kann dabei der NPD-Bundesvorstand und gebürtige Göttinger Thorsten Heise gelten. Dieser lebt in Fretterode, einem 170-Seelen-Dorf, rund 30 Kilometer von Göttingen entfernt, und vernetzt von dort aus die Neonazi-Szene in der Region. In jüngerer Vergangenheit ist er vor allem als Veranstalter der »Schild und Schwert Festivals«, Rechtsrock-Konzerten mit teilweise über tausend Teilnehmern, in Erscheinung getreten. Unlängst geriet er in die Schlagzeilen, als er zu einem Kameradschaftsabend auf seinem Anwesen den ehemaligen SS-Mann Karl M. lud. Im April vergangenen Jahres soll zudem ein Angriff auf zwei Göttinger Journalisten von Heises Grundstück aus begangen worden sein.

Womöglich ist Heise auch der Drahtzieher von Neonaziaktionen, die derzeit Göttingen in Aufruhr versetzen. Der Blog »Ausgetobt«, auf dem die rechten Aktivisten vor einigen Wochen geoutet wurden, legt ihnen jedenfalls enge Verbindungen nahe. Paul S. etwa soll Post vom NPD-Kader erhalten, Felix H. mit Heises Sohn Neonazi-Veranstaltungen besucht haben. Beide sollen zudem beim alljährlichen geschichtsrevisionistischen Trauermarsch in Dresden das Transparent der »Kameradschaft Northeim« getragen haben, die von Heise gegründet wurde. Northeim liegt rund 20 Kilometer nördlich von Göttingen.

Vermutlich ist es nicht zuletzt diese unheimliche Verbindung, die die linke Szene in Göttingen beunruhigt und zu einer Demonstration veranlasst. Kontakte zu Heise sprechen für ein großes Gewaltpotenzial. Und tatsächlich werden der »Göttinger Nazi-Clique« getauften Gruppe einige Übergriffe nachgesagt. Im Demo-Aufruf werden zwei benannt: Ende Februar sollen einige der Neonazis Gäste einer alternativen Kneipe attackiert und geschlagen haben. Auch einen Angriff auf zwei Studenten mit einer Metallstange im vergangenen November rechnet die »Basisdemokratische Linke« der Gruppe zu. In beiden Fällen ermittelt die örtliche Polizei wegen der Körperverletzungsdelikte.

Obendrein ist auch ein in Göttingen gut bekanntes, aber kaum vermisstes Gesicht wieder auf der Bildfläche erschienen. Jens Wilke, seit 2015 Gründer und Anführer des extrem rechten »Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen« sowie kurzzeitig parteipolitisch aktiv für die NPD und die Republikaner, hatte nach erfolgreicher antifaschistischer Gegenwehr sein Projekt einer rechten Bürgerbewegung in der Region aufgeben müssen. Danach war er zunehmend in ein Milieu neonazistischer Kleinstzusammenschlüsse gedriftet, mit denen er sich in Verschwörungstheorien über das »rote Göttingen« erging. Aktuell läuft ein Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Wilke.

Ob die Demonstration gegen die »Nazi-Clique« am Samstag bereits Veränderungen initiieren kann, wird sich zeigen. Sie dürfte aber ein Zeichen gegen das Aufkommen eines Rechtstrends in der Region setzen.

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