Liberale auf Verschwörerjagd

Der Mueller-Bericht entlastet Trump - das könnte ihn gefährden.

  • Adam Baltner
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit vergangenen Sonntag sind sie da, die Kernpunkte des »Mueller-Berichts« - des Ergebnisses der Untersuchungen des Sonderstaatsanwalts und Ex-FBI-Direktors Robert Mueller über eine Beeinflussung der US-Präsidentschaftswahl von 2016 durch Russland. Was drin steht, ist herzlich wenig. Russland hat versucht, im Wahlkampf mitzumischen - eine Praxis, die den USA selbst keineswegs fremd ist, wie etwa die russische Präsidentschaftswahl von 1996 zeigte. Für die von den Medien fleißig verbreiteten Gerüchte über direkte Absprachen zwischen Donald Trumps Team und Moskau gibt es aber keine Indizien. Trump ist keine »Marionette des Kreml«.

Wer in der Realität lebte, fand das kaum überraschend. Gute Journalisten wie Matt Taibbi hatten längst dokumentiert, wie sich diese Gerüchte von einem Trump-Putin-Komplott immer wieder in Luft auflösten. Wie der linke Autor Branko Marcetic bemerkte, wären Belege schon lange durchgesickert, wenn es sie gäbe. Zudem wäre es ein merkwürdiger Komplott gewesen. Denn Trumps Russlandpolitik ist, wie der konservative Politikberater Daniel Vajdich vom »Atlantic Council« jüngst würdigend anerkannte, keineswegs putinfreundlich, sondern die schärfste seit dem Kalten Krieg.

Warum aber hatten die liberalen Medien jahrelang diese Geschichten verbreitet? Nicht nur die berühmte »New York Times« hat ja den Anschein erweckt, Trump sei so gut wie erledigt. Im Fernsehsender MSNBC, der der demokratischen Partei nahesteht, tönte noch vor drei Wochen der frühere CIA-Direktor John Brennan als Studiogast, Mueller werde demnächst Mitglieder von Trumps Familie verhaften. Das wirkt nun ziemlich bizarr - wie eine Bestätigung der »Fake News«-Vorwürfe, die Trump gegen angesehene Figuren wie Brennan erhebt.

Es ist nicht so, dass diese Medien bewusst gelogen hätten. Ihre in die Verschwörungstheorie tendierende Berichterstattung über die »Russlandaffäre« spiegelt ihre eigenen Selbsttäuschungen. Und diese fußen auf dem Habitus und den Klasseninteressen ihres meist wohlhabenden Publikums. Diese Leute finden Trump furchtbar reaktionär und - vielleicht vor allem - schrecklich peinlich. Doch sie sehen nicht, dass Trump ein Symptom eines tiefer liegenden Verfalls ist, an dem sie Mitschuld tragen.

Trump war möglich, weil die jahrzehntelange Demontage sozialer Rechte in den USA eine enorme Wut produziert hat, die sich teils in reaktionärsten Formen äußert. Statt sich nun darüber Gedanken zu machen, wie der neoliberale Status quo, von dem sie selbst profitieren, Trump den Boden bereitete, schreiben die Konsumenten liberaler Medien Trumps Wahlsieg lieber einer externen Ursache zu. So müssen sie ihre Privilegien nicht hinterfragen.

So erlaubt es die Trump-Russland-Verschwörungstheorie, über Politik zu reden, ohne politisch zu denken. Natürlich ist Trump reaktionär. Rassismus äußert er offensiver als andere republikanische Präsidenten der jüngeren Zeit. Es ist empörend, wenn er Migrantenkinder von ihren Eltern trennen lässt. Doch schwelgen die Liberalen, die sich darüber aufregen, zugleich in falscher Nostalgie für den netten Barack Obama, der mehr Einwanderer abschob als jeder andere Präsident zuvor. Mittlerweile feiern sie sogar den Irakkrieger George W. Bush.

So zynisch das vielleicht auch klingen mag: Die abgrundtiefe Abneigung der Liberalen gegenüber Trump hat weniger politische als ästhetische Gründe. Obwohl als Millionär geboren, zelebriert er in seiner vergoldeten Wohnung Reichtum so, wie sich das arme Leute vielleicht vorstellen. Seine umfassende Anstößigkeit widerspricht dem idealisierten Bild des amerikanischen Staates und seiner grundsätzlich ehrwürdigen Institutionen, das Liberale hegen. Wie in einem Politthriller aus Hollywood oder auf Netflix hofft man, dass am Ende ein unbestechlicher FBI-Mann die Verschwörung aufdeckt und die Bösewichte verhaftet, die die USA missbraucht haben.

Dieser liberale Antitrumpismus entspricht funktional genau seinem Antipoden. Denn auch der Trumpismus nährt sich aus wilden Verschwörungstheorien und einem im Konkreten unpolitischen, nur ästhetischen Schimpfen über »abgehobene Eliten« und deren europäische Autos. So wirkt der liberale Antitrumpismus am Ende als Schutzschild für Trump: Er hilft zu verschleiern, was der ungehobelte Klotz eigentlich tagtäglich sichtbar macht, nämlich die strukturelle Gewalt des politischen Systems der USA. Er verdeckt die Erkenntnis, dass der Trumpismus ein politisches Problem ist, das nur durch wirkliche Analyse und eine entsprechende politische Arbeit besiegt werden kann.

Nun sorgen sich die Liberalen, der Mueller-Bericht könne Trump helfen. Richtig ist eher das Gegenteil: Er könnte ihm gefährlich werden, wenn er nämlich diesem Antitrumpismus endlich den Boden entzöge und den Blick öffnete für politischen Widerstand. Leider ist das nicht unbedingt zu erwarten. Denn Verschwörungstheorien zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie sich von Fakten nicht erschüttern lassen.

Adam Baltner, Jahrgang 1991, stammt aus den USA und lebt in Wien als Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte, freier Übersetzer und Redakteur bei der Onlinezeitschrift »mosaik« (www.mosaik-blog.at).

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