»Unser Gehalt ist eher ein Witz«

BVG-Mitarbeiter legen mit Streik Betrieb lahm - viele Beschäftigte erwägen Arbeitswechsel

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

»Uns reicht’s jetzt einfach. Der Job wird imma stressiger, und det Jehalt ist eher ’n Witz, aba keen lustijer. Wenn det nich besser wird, dann such ick mir wat anderet.« Solche und ähnliche Statements - gerne im besten Berlinerisch - hört man am Montagmorgen vorm Betriebshof der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in der Weddinger Müllerstraße des Öfteren. Rund 150 Mitarbeiter haben sich hier zu einer Kundgebung versammelt, viele davon mit den gelben Streikwesten der Gewerkschaft ver.di. Wenig später kommt noch Verstärkung, denn von der nahe gelegenen U-Bahn-Betriebswerkstatt in der Seestraße stoßen rund 50 Kollegen mit einem kleinen Demonstrationszug dazu.

Zu diesem Zeitpunkt ist der 24-stündige Warnstreik, zu dem ver.di aufgerufen hat, bereits in vollem Gange. Der Streik startete zum Betriebsbeginn um drei Uhr. Busse, U-, und Straßenbahnen blieben fast vollständig in den Depots. Der Arbeitskampf wirkt sich auf rund 2,9 Millionen Fahrgäste in Berlin aus, die an einem Werktag normalerweise die BVG benutzen.

Auf der Kundgebung gibt es deutliche Worte von Jeremy Arndt. Der gelernte Betriebselektroniker ist als Gewerkschaftssekretär für die BVG und ihr Tochterunternehmen Berlin Transport (BT) zuständig und führt auch maßgeblich die Tarifverhandlungen für die rund 14 500 Beschäftigten mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). »So kann man mit uns nicht umspringen«, sagt Arndt. Die Arbeitgeber hätten am Donnerstag in der vierten Verhandlungsrunde zwar ein im Gesamtvolumen recht ansehnliches Angebot vorgelegt, wären aber nicht bereit gewesen, über Detailfragen weiter zu verhandeln. »Die haben uns klipp und klar gesagt, dass es nichts mehr zu verhandeln gibt und von ihrer Seite auch keinerlei Gesprächsbedarf mehr besteht«, berichtet der Gewerkschaftssekretär. Dabei geht es vor allem um das Gehaltsgefüge in dem Betrieb und die unterschiedlichen Lohnzuwächse und Zulagen für die einzelnen Beschäftigtengruppen.

Schwer im Magen liegen Arndt vor allem die »Unwahrheiten und Taschenspielertricks«, mit denen der Arbeitergeber versuche, »die Belegschaft zu spalten und die Öffentlichkeit gegen uns aufzubringen«. Zwar sei es richtig, dass das Angebot eine durchschnittliche Steigerung der monatlichen Bruttobezüge um 450 Euro vorsehe. Doch zum einen gehe es um eine Laufzeit von zwei Jahren, und außerdem seien dort alle Komponenten eingerechnet. Also außer den Tabellenentgelten auch Zeitzuschläge, ein höheres Weihnachtsgeld und die Höhergruppierung von neu eingestellten Busfahrern und einigen anderen Berufsgruppen.

Diese Höhergruppierung sei zwar unbedingt notwendig, so Arndt, »aber das kann man doch nicht zu lasten derjenigen Kollegen umsetzen, die schon länger im Betrieb sind.« Man werde »keinen Tarifvertrag abschließen, der neue Ungleichgewichte schafft und den Kollegen jegliche Perspektive nimmt, durch den Aufstieg in höhere Lohngruppen auch entsprechend besser vergütet zu werden«. Und ein allgemeines, sehr deutliches Lohnplus bei der BVG sei ohnehin unumgänglich, denn derzeit verdienten die Mitarbeiter nach Jahren der »Sparpolitik« dort deutlich weniger als in anderen deutschen Großstädten oder etwa bei der zur Deutschen Bahn gehörenden Berliner S-Bahn. »Dieser Nachholbedarf ist in allen Entgelt- und Berufsgruppen vorhanden. Aus diesem Grund hat unsere Tarifkommission das Angebot auch abgelehnt«, sagt Arndt. Den Vorwurf des KAV, der ganztägige Warnstreik sei unangemessen und unnötig, wies der Gewerkschafter zurück. »Bis Sonntagabend wäre Zeit gewesen, uns zu signalisieren, dass man ernsthaft verhandlungsbereit ist, dann hätten wir das vielleicht auch noch abgeblasen«, sagt Arndt. Aber das sei nicht passiert, und deswegen sei der Gewerkschaft gar nichts anderes übrig geblieben, als dem Arbeitgeber zu demonstrieren, dass man es bitter ernst meine. Immerhin gibt es inzwischen einen neuen Termin für eine weitere Runde. Diese soll am Donnerstag stattfinden, und zwar »open end«, wie zu hören ist.

Eine zentrale Forderung hat ver.di für diese Tarifrunde allerdings zurückgestellt. Dabei geht es um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit für alle Beschäftigten auf 36,5 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Seit 2005 müssen neu eingestellte Mitarbeiter 39 Stunden arbeiten. In den laufenden Tarifverhandlungen habe sich herausgestellt, dass Lohnerhöhungen und die Entgeltstruktur diesmal eindeutig im Fokus stehen, so ver.di-Sprecher Andreas Splanemann auf nd-Nachfrage. Aber das Thema werde bei der nächsten Tarifrunde »mit Sicherheit wieder auf den Tisch kommen«, kündigt Splanemann an.

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