Hass und andere Gefühle

In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen spricht der polnische Schriftsteller Stefan Chwin

Der polnische Schriftsteller Stefan Chwin wurde zum Hass auf die Deutschen erzogen. Während des Warschauer Aufstands 1944 ging das Haus seiner Mutter in Flammen auf. Ein deutscher Soldat hatte Granaten in den Keller geworfen. Stefan Chwin kam 1949 in Gdańsk, dem alten Danzig, zur Welt. »Ich hatte keine Gründe, mir Sorgen um die aus Danzig vertriebenen Deutschen zu machen. Mehr noch: Ich dachte, dass die Deutschen es verdient haben - für Auschwitz.« So erzählte es der Schriftsteller in einem Interview, das im Internetportal PolenJournal.de nachzulesen ist. Wenn er nur an die Deutschen dachte, habe er die Fäuste geballt.

Doch als Stefan Chwin erwachsen wurde, änderten sich seine Gefühle. Er begann die Architektur seiner Heimatstadt zu lieben, »die verfluchte deutsche Schönheit«, die Bilder von Caspar David Friedrich und Heinrich von Kleists Drama »Prinz Friedrich von Homburg«. Inzwischen sind mehrere Bücher von Chwin ins Deutsche übersetzt worden, darunter sein Roman »Tod in Danzig« von 1997. Am kommenden Sonntag, dem 14. April, hält der Schriftsteller in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Ansprache. Begangen wird dort der 74. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers durch sowjetische und polnische Truppen, die allerdings nur noch 3000 kranke Häftlinge vorfanden. Mehr als 30 000 Häftlinge hatte die SS auf Todesmärsche Richtung Nordwesten getrieben, viele noch vorher oder unterwegs erschossen.

Die Feierlichkeiten in der Gedenkstätte an der Straße der Nationen beginnen um 11 Uhr. Höhepunkt ist das Gedenken ab 15.30 Uhr an der Tötungsstation »Z«. Dort spricht neben Chwin zum Beispiel auch der 94-jährige Bernt Lund, Präsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees und norwegischer Überlebender des Lagers.

Parallel wird in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück vom 12. bis 14. April an die Befreiung dieses Konzentrationslagers erinnert. Am 14. April um 10 Uhr spricht bei der zentralen Veranstaltung Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Bereits vorab erklärte er: »Wir sind den Opfern der nationalsozialistischen Gräueltaten auf immer verpflichtet.« Egal ob Deutsche oder Angehörige anderer Nationalitäten, ob Juden, Widerstandskämpfer oder Homosexuelle - sie alle seien »ihrer Freiheit beraubt, erniedrigt, geschlagen oder ermordet« worden. »Wir werden ihrer auch in diesem Jahr würdig gedenken«, sagte Woidke. Ihr Vermächtnis müsse bewahrt werden, »indem wir für Demokratie und Freiheit, gegen Nationalismus und Rassismus eintreten«.

Woidke ist Polen-Beauftragter der Bundesregierung. Das hat in Ravensbrück dieses Jahr noch eine spezielle Bedeutung. Nachdem einige deutsche Linke bei den Befreiungsfeierlichkeiten im vergangenen Jahr Probleme mit einzelnen polnischen Antikommunisten bekommen hatten, bittet die Initiative für einen Gedenkort »Mädchen-KZ Uckermark« nun für dieses Jahr um besonders rege Teilnahme von Antifaschisten, um möglichst nicht wieder in eine solche Situation zu geraten.

Die Initiative gewann nach eigenen Angaben den Eindruck, dass polnische Nationalisten 2018 in Ravensbrück Innenpolitik für die polnischen Fernsehzuschauer machten, »gerade weil als Hauptrednerin auf der Gedenkfeier die Ehefrau des polnischen Präsidenten eingeladen war«. Die polnischen Besucher in Ravensbrück seien »vielfältig«, doch polnische Rechte dominierten durch ihr »massives Auftreten« das Bild, heißt es.

Für Verbitterung sorgten Polen mit Armbinden mit der Aufschrift »NSZ«. Das steht für Narodowe Siły Zbrojne, zu Deutsch: Nationale Streitkräfte. Es handelte sich um Partisanen, die gegen die deutschen Besatzer kämpften, aber als Antikommunisten und Antisemiten mindestens genauso erbittert auch gegen die sowjetischen Truppen. Dabei machten sie 1945 zeitweise sogar gemeinsame Sache mit Wehrmacht und Waffen-SS. Drei Frauen von den NSZ waren KZ-Häftlinge in Ravensbrück.

Gedenkstättenleiterin Insa Eschebach appellierte, »die Gedenkveranstaltung am 14. April aus Respekt vor den Opfern nicht für tagesaktuelle Zwecke zu missbrauchen«. Die Gedenkstätte soll gebeten haben, »vom Zeigen von Transparenten, Fahnen und Kleidungsstücken mit politischen Statements während der zentralen Gedenkveranstaltung abzusehen«. Ausgenommen davon seien die Traditionsfahnen der Opferverbände. Der Initiative Gedenkort »Mädchen-KZ Uckermark« ist das zu vage. Sie verlangt, dass antisemitisches, rassistisches und anderes menschenverachtendes Verhalten unterbunden wird und ebenso das Tragen von Abzeichen von Parteien und Verbänden, die solche Ideologien vertreten.

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