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Rätselhafter Rückfall

Völlig untypisch lässt Bayern München das Titelrennen durch ein 1:1 in Nürnberg doch noch offen

  • Maik Rosner
  • Lesedauer: 4 Min.

Als die Spieler des FC Bayern am Sonntagabend am Max-Morlock-Stadion in ihren Teambus kletterten, nahmen sie eine große Knobelaufgabe mit auf die 169 Kilometer lange Heimreise nach München. Des Rätsels Lösung, warum sie die Steilvorlage der 2:4-Derbyniederlage von Borussia Dortmund gegen den FC Schalke nicht zur Vorentscheidung im Meisterkampf genutzt hatten, dürften sie auf der Fahrt über die A9 aber kaum vollumfänglich gefunden haben. Trotz der zuvor schon vorgetragenen Erklärungsansätze, wie es zu diesem völlig unerwarteten 1:1 (0:0) beim Vorletzten 1. FC Nürnberg gekommen war, das sogar beinahe in einer Niederlage gemündet wäre.

Innenverteidiger Mats Hummels hatte die Makel zwar benannt: »kein Tempo«, »fußballerisch sehr ungenau« und »unzählige freie Ballverluste«. Aber als übergeordnete Erklärung für die wiederholte bayerische Schlamperei reichte das nicht aus. Zumal sie es sich diesmal nicht verdient hatten, ihren traditionell oft erzwungenen Dusel in Anspruch zu nehmen. Diesmal hatten sie tatsächlich schlicht Glück gehabt.

Nach der Nürnberger Führung durch Matheus Pereira (48.) und dem Ausgleich durch Serge Gnabry (75.) hatte Nürnbergs Tim Leibold noch einen Handelfmeter in der Nachspielzeit an den Innenpfosten geschossen. Dass kurz darauf auch noch Bayerns Kingsley Coman nach einem so langen wie einsamen Lauf über das halbe Spielfeld gegen Torwart Christian Mathenia ebenfalls den Sieg vergab, fügte sich ins Bild der späten wie unglaublichen und für Münchner Verhältnisse sehr untypischen Pointen.

Was blieb, war die Frage: Warum können die Bayern in dieser Saison dem eigenen Selbstverständnis so oft nicht gerecht werden? »Ich kann mir das auch nicht erklären«, sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic stellvertretend für die gesamte Belegschaft der Münchner und beklagte eine fehlende »Killermentalität«, die eigentlich als fester Bestandteil der Vereinssatzung gilt. Doch wie schon bei den vorherigen Enttäuschungen gegen andere »Kleine« der Bundesliga, gegen Augsburg (1:1), Freiburg (1:1), Düsseldorf (3:3) sowie zuletzt in Freiburg (1:1), erkennen sich die Bayern auch jetzt selbst nicht wieder. Das war schon beim wilden 5:4 im Pokalviertelfinale gegen den Zweitligisten Heidenheim so oder beim verzagten Auftritt im Achtelfinalrückspiel der Champions League gegen den FC Liverpool (1:3).

Dabei schien vor dem rätselhaften Rückfall im bayerisch-fränkischen Derby in Nürnberg alles wie auf dem Silbertablett dafür angerichtet, dass die Münchner in ihrer berühmt-berüchtigten Mia-san-mia-Manier auf ihren siebten Meistertitel in Serie zusteuern. Und dafür, dass sie nebenbei ihren langjährigen Manager und heutigen Präsidenten Uli Hoeneß vor dessen 40-jährigen Dienstjubiläum an diesem Mittwoch mit der Aussicht auf einen weniger nervenaufreibenden Ligaendspurt beschenken. Es zählte ja bisher stets zu den Kernkompetenzen der Bayern, Ausrutscher der Konkurrenz gnadenlos auszunutzen.

Doch statt den Vorsprung auf Borussia Dortmund auf vier Punkte auszubauen, haben die Münchner ihre Ausgangslage vor den abschließenden drei Ligaspielen nur leicht verbessert und zugleich »einen kleinen Tritt in den Arsch bekommen, so dass wir nächste Woche noch angestachelter in die Partie gehen werden«, wie Thomas Müller glaubt. Bei zwei Punkten und 16 Toren Vorsprung auf den Verfolger müssen es nun nicht zwingend drei Siege sein, um am Saisonende erneut die Schale in Empfang nehmen zu dürfen. Zwei Siege in den verbleibenden beiden Heimspielen gegen Hannover 96 und Eintracht Frankfurt und ein Unentschieden bei RB Leipzig am vorletzten Spieltag würden beispielsweise auch genügen, sofern Dortmund noch drei Mal gewinnen sollte.

Um die Grundlage für ein erfolgreiches Ligafinale zu legen, müssen die Bayern nun also gegen den nächsten Kleinen und Tabellenletzten Hannover ihrem Selbstverständnis gerecht werden. Auch, »um zu zeigen, dass das heute ein Ausrutscher war«, wie Mats Hummels anmerkte. Interessant gerieten dabei seine Andeutungen zu internen Deutungsunterschieden. »Dass wir heute definitiv nicht gut gespielt haben, ich glaube, da sind wir uns alle einig«, sagte er und ergänzte verstärkend: »Ich hoffe, da sind wir uns alle einig. Es wäre wichtig, wenn wir das alle so sehen.«

Ebenso kritisch nach innen ließ sich seine Einschätzung verstehen, dass das Remis nicht auf die cleveren, mutigen und leidenschaftlichen Nürnberger zurückzuführen sei, die trotz des Achtungserfolgs mit nun fünf Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz vor ihrem neunten Abstieg stehen. »Ich glaube, unsere Fehler basierten hauptsächlich auf uns, nicht auf der Herangehensweise des Gegners«, befand Hummels.

Schon nach den vorherigen Enttäuschungen dieser Saison hatte er sich ähnlich geäußert und dabei ebenfalls anklingen gelassen, dass er die Herangehensweise unter Trainer Niko Kovac zuweilen für zu defensiv hält. Besonders für das Selbstverständnis des FC Bayern.

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