Ein Haufen Elend

Personaldebatte und Kritik an Nahles-Ankündigung, sich als Fraktionschefin früher als geplant zur Wiederwahl zu stellen

Seit Vorliegen der ersten Prognosen am Abend der Europawahl rumort es in der SPD. Kein Wunder, brachte die Abstimmung doch einen neuen Tiefpunkt in der Geschichte der Partei. Gegenüber der vorangegangenen Wahl zum Europäischen Parlament 2014 hat sie 11,5 Prozentpunkte eingebüßt und kam nur noch auf 15,8 Prozent der Stimmen. Und in Bremen ist die SPD nach 73 Jahren erstmals nicht mehr stärkste Partei. Bei der Bürgerschaftswahl stürzte von 32,8 auf gerade noch 25,1 Prozent ab. Noch am Sonntagabend wurden Forderungen nach nicht genau benannten personellen Konsequenzen laut.

Doch nachdem Parteichefin Andrea Nahles am Montagabend mitgeteilt hatte, sie werde sich als Fraktionsvorsitzende schon am 4. Juni zur Wiederwahl stellen, waren die Kritiker auch nicht zufrieden.

Der frühere Parteichef Martin Schulz, der Medienberichten zufolge Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz hat, sagte zu Nahles’ Ankündigung, der Fraktion solle »die Zeit gegeben werden, die letzten Entwicklungen zu analysieren«. Die Wahl des Fraktionsvorstands sei erst für September vorgesehen, sagte der gescheiterte Kanzlerkandidat der Wochenzeitung »Die Zeit«. Gefragt, ob er selbst gegen Nahles antreten werde, antwortete Schulz: »Diese Frage stellt sich zurzeit nicht.«

Kritik an dem Plan der vorgezogenen Wahl übten laut den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochausgaben) auch mehrere Bundestagsabgeordnete, nach deren Meinung Nahles mit ihrem »Alleingang« alle Beratungen und Festlegungen der Gremien konterkariert. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil findet, die SPD habe »keinen Bedarf an einer Personaldebatte«. Und SPD-Vize Ralf Stegner monierte gegenüber n-tv, erst am Montag sei im Parteivorstand besprochen worden, dass man jetzt »über die programmatische, strategische Aufstellung reden« und nicht »Personalquerelen machen sollte«.

Die stellvertretende Parteichefin Manuela Schwesig verteidigte dagegen Nahles’ Vorgehen. Damit gehe sie »in die Offensive« und schaffe Klarheit, sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern den Funke-Zeitungen.

An diesem Mittwochnachmittag kommt die SPD-Bundestagsfraktion zu einer Sondersitzung zusammen, auf der aktuelle Fragen diskutiert und die Sitzung am Dienstag vorbereitet werden sollen. Dort dürfte auch formal über das Vorziehen der Vorstandswahl entschieden werden, da Nahles dies nicht vorgeben kann.

Ex-Spitzenkandidat Schulz klagte derweil gegenüber der »Zeit« darüber, dass »viel zu viele« in der SPD »ständig dabei sind, Intrigen zu schmieden«. Das aktuelle Erscheinungsbild seiner Partei bezeichnete Schulz als »mutlos«. »Uns fehlt die Bereitschaft, uns die Kapitalisten einmal richtig vorzuknöpfen - meinetwegen auch mal populistisch zu sein.«

Neben Schulz waren in den vergangenen Tagen auch der Chef der NRW-Landesgruppe im Bundestag, Achim Post, und der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der Fraktion, Matthias Miersch, als Nahles-Nachfolger gehandelt worden.

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Während aus der Fraktion heraus immer wieder Unzufriedenheit mit Nahles geäußert wird, hat sich der Parteivorstand am Montag hinter sie gestellt. Nahles selbst sagte nach der Sitzung des Gremiums, dort sei mehrfach betont worden, die »15 Prozent, die wir jetzt haben«, seien auch »in den letzten 15 Jahren entstanden«. Das scheint Ex-Außenminister Sigmar Gabriel anders zu sehen. Noch am Wahlabend sagte er dem »Tagesspiegel«, in Berlin müssten »jetzt diejenigen Verantwortung übernehmen, die den heutigen personellen und politischen Zustand in der SPD bewusst herbeigeführt haben«. Jetzt gehörten »alles und alle« auf den Prüfstand. Wenig später behauptete er in der ARD-Sendung »Anne Will«, er habe »gar keine personellen Konsequenzen gefordert«.

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