Wie viel Klimaschutz darf es sein?

Klimakabinett will bis zum Herbst eine Grundsatzentscheidung über konkrete Gesetze und Maßnahmen zum Erreichen der CO2-Ziele erarbeiten

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Berlin. Nach dem zweiten Treffen des Klimakabinetts am Mittwoch in Berlin hat die Bundesregierung bekräftigt, dass Deutschland die Klimaschutzziele 2030 einhalten will, auf die es sich international verpflichtet hat. Regierungssprecher Steffen Seibert und die stellvertretende Sprecherin Martina Fietz erklärten, das bedeute Jahr für Jahr deutliche zusätzliche CO2-Reduktionen. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels sehe die Bundesregierung darin »einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit.«

Die Vorschläge zur CO2-Reduzierung in der Energiewirtschaft, bei Gebäuden, im Verkehr, der Industrie und in der Landwirtschaft würden bei den nächsten Treffen weiter konkretisiert. Das Klimakabinett soll auch während der Sommerpause zusammenkommen. Eine Grundsatzentscheidung über die Gesetze und Maßnahmen werde im September fallen, erklärten die Sprecher.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte vor zwei Tagen ohne Einwilligung des Kanzleramts die Ressortabstimmung über ihren Entwurf für ein Klimaschutzgesetz eingeleitet. Er sieht vor, dass der Jahresausstoß von Treibhausgasen nach oben begrenzt werden soll, zunächst bis 2030 und dies in sechs Bereichen. Wie sie das erreichen wollen, sollen die zuständigen Bundesministerien darlegen, die sämtlich in Unionshand sind: das Bundeswirtschafts- und das Verkehrsministerium, sowie die Ressorts für Bau und Landwirtschaft. Sie sollen dem Entwurf zufolge für die Einhaltung der jeweiligen Jahresziele verantwortlich sein.

Die nationalen Klimaschutzziele für Deutschland sehen eine Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen in vier Schritten vor, bis 2050 um 95 Prozent gegenüber 1990. Bis 2030 sollen die Treibhausgase um 55 Prozent reduziert werden.

Greenpeace: »Politische Spielchen« müssen jetzt aufhören

Klima- und Umweltschutzorganisationen bezweifeln allerdings, ob die Bundesregierung den Ernst der Lage tatsächlich erkannt hatn. Merkel und ihr Kabinett müssten »anerkennen, dass wir einen Klimanotstand haben und ein Paket an Sofortmaßnahmen beschließen«, verlangte der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Kaiser forderte, dass »die ersten sieben Braunkohleblöcke bis spätestens Ende 2022 abgeschaltet werden«. Bis dahin müssten »3,1 Gigawatt an zusätzlicher Braunkohlekapazität vom Netz«. Außerdem dürfe es »eine industrielle Landwirtschaft mit Bienengift und einer Massentierhaltung, die Klima und Grundwasser ruiniert, künftig nicht mehr geben«. »Bis 2030 kann und muss mit der Verbrennung von Kohle Schluss sein«, fügte er hinzu.

Das von der Kohlekommission genannte Enddatum 2038 sei zu spät, was Greenpeace auch in einem Sondervotum deutlich gemacht habe. Nicht einmal dies werde jedoch von der Regierung umgesetzt, kritisierte Kaiser. So habe Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bislang »nichts getan, um den Kohleausstieg einzuleiten«. Im Verkehrsbereich müssten »2025 die letzten neuen Diesel und Benziner aus den Autohäusern rollen, damit die Emissionen im Verkehr bis 2035 auf Null sinken«.

Verkehrsministerium setzt auf Kaufprämien

So weit reichen die Pläne der Bundesregierung allerdings nicht. Der Klimaschutzplan sieht im Verkehrsbereich lediglich vor, die Treibhausgasemissionen von 163 Millionen auf 95 bis 98 Millionen Tonnen im Jahr 2030 zu reduzieren.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kündigte am Mittwoch an, die Treibhausemissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 um bis zu 55 Millionen Tonnen zusätzlich reduzieren zu wollen als es der Klimaschutzplan bisher vorsieht. Erreichen wolle er dies mit einem Gesamtpaket aus mehr als 50 Maßnahmen.

Keine Wahl beim Klima
Die LINKE muss bei Ökothemen glaubwürdiger und lauter werden. Die Klimafrage wird nicht von der Tagesordnung verschwinden.

Die meisten Emissionen will Scheuer nach Angaben aus seinem Ministerium senken, indem die Regierung »CO2-arme« Pkw und Lkw auf die Straße bringt. Dies soll mit Hilfe von staatlichen Kaufprämien für Elektrofahrzeuge gelingen. Die CO2-armen Pkw und Lkw sollen nach Angaben des Ministeriums bis zu 28 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Bis zu acht Millionen Tonnen Einsparpotenzial sieht der Minister im Bereich Öffentlicher Personennahverkehr, Rad- und Fußverkehr. Hier will er etwa die Mehrwertsteuer auf Bahntickets von derzeit 19 auf sieben Prozent senken, die Mittel des Bundes für den Ausbau von S- und U-Bahnen auf jährlich eine Milliarde Euro und auch die Fördermittel für Elektrobusse erhöhen.

Durch die Umstellung auf alternative Kraftstoffe sieht Scheuer ein Einsparpotenzial von weiteren bis zu zehn Millionen Tonnen CO2 bis 2030. Der Einsatz von mehr Zügen und Binnenschiffen im Güterverkehr soll bis zu zwei Tonnen CO2 einsparen, die Digitalisierung bis zu sieben Millionen Tonnen.

LINKE: Bisher nur Pseudo-Maßnahmen vorgelegt

Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser warnte Union und SPD vor neuen »politischen Spielchen« oder davor, sich gegenseitig den »Schwarzen Peter« hin- und herzuschieben. »Wir haben genug Bekenntnisse zum Klimaschutz gehört und zu viele unverbindliche Ankündigungen gelesen«, sagte der Greenpeace-Geschäftsführer. Nach all der »Klimaprosa« dürfe die Regierung jetzt »das Handeln nicht länger vertagen«.

Ähnlich sehen dies auch Vertreter von LINKEN und Grünen. »Die im Klimakabinett angekündigten Klimaschutzmaßnahmen sind ein Flickenteppich nicht ausreichender Pseudo-Maßnahmen, und damit nicht mehr als das fatale Business-as-usual der vergangenen Jahre ohne Tatkraft, Mut und Ideen«, kommentierte Lorenz Gösta Beutin, klimaschutzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, die bisherigen Ergebnisse.

LINKEN-Parteichef Bernd Riexinger erklärte, insbesondere die CDU verhindere »echte Maßnahmen« und verschleppe notwendige radikale Umbaumaßnahmen. Stattdessen bringe die CDU wieder einmal die »Risikotechnologie« CCS ins Spiel.

Bei CCS (Carbon Capture and Storage) wird das klimaschädliche Kohlendioxid, das zum Beispiel von Kraftwerken ausgestoßen wird, mit chemischen Prozessen gebunden und anschließend unter der Erde eingelagert. So soll es nicht in die Atmosphäre gelangen und nicht zum Klimawandel beitragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Mitte Mai in der »Süddeutschen Zeitung« gesagt: Klimaneutralität könne man nur erreichen, wenn man bereit sei, CO2 zu speichern.

Auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, warf der Regierung mangelndes Engagement vor. Die Bürgerinnen und Bürger wollten mehr Klimaschutz: »Noch am Sonntag nach der Klimawahl waren die Klima-Ankündigungen mal wieder groß, doch heute gibt es nur einen vagen Verweis auf eine Grundsatzentscheidung im Herbst. Das überzeugt nicht.« Hofreiter forderte einen raschen Kohleausstieg, ein Klimaschutzgesetz sowie einen CO2-Preis, damit sich klimaschonendes Verhalten lohne. Agenturen/nd

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