Anerkennung war der erste Schritt

Auch scheinbar abgehobene UN-Institutionen können Betroffene stärken. Das zeigt die ILO-Konvention zu Hausangestellten.

Es sind ungewöhnliche Szenen, die Beobachtern der Verhandlungen über die letzte Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation bis heute lebhaft in Erinnerung sind: Frauen, die auf den Besuchertribünen klatschen, tanzen, lautstark demonstrieren und damit die Hausregeln gehörig strapazieren; Arbeitgebervertreter an den Redepulten, die auf die Routinen dieses Hauses pochen und sich entrüsten ob der vermuteten Respektverletzung; Gewerkschafter, die vergeblich versuchen, die ungewöhnlichen Mitglieder ihrer Delegationen zu zügeln. Auch sie zuweilen überfordert von den selbstbewussten Frauen aus allen Teilen der Welt, die in privaten Haushalten putzen, kochen oder alte Menschen pflegen. Üblicherweise unsichtbar - in Genf verschafften sie sich vor zehn Jahren nachdrücklich Gehör, auch ohne offizielles Rederecht.

»Allein, dass Betroffene überhaupt vor Ort waren, machte einen großen Unterschied«, erinnert sich Helen Schwenken, Professorin für Migration und Gesellschaft an der Universität Osnabrück, die die Beratungen zum Übereinkommen Nr. 189 über »menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte« intensiv verfolgte. Sie hatten mit Erfolg dafür gekämpft, als gewerkschaftliche Delegierte beobachtend an den Verhandlungen beteiligt zu werden. »Die Konvention ist ein Beispiel dafür, dass auch die sonst so abstrakten und weit weg erscheinenden UN-Institutionen eine Bedeutung für soziale Bewegungen haben«, so Schwenken. Zum ersten Mal in der Geschichte der ILO wurden die, um die es bei den Verhandlungen geht, selber so aktiv. Die Diskussionen in Genf bewirkten einen globalen Mobilisierungsschub. »Die Staaten gerieten unter moralischen Zugzwang, den Prekärsten der Prekären wenigstens einige Rechte zu geben«, sagt die Migrationsexpertin.

Das Übereinkommen Nr. 189, das im Jahr 2008 auf den Weg gebracht und 2011 verabschiedet wurde, hält globale Mindeststandards für Beschäftigte in Privathaushalten fest. Dazu gehören etwa eine wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 Stunden am Stück, der jeweils geltende Mindestlohn und ein bezahlbarer Zugang zu Schlichtungsverfahren. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es weltweit 100 Millionen Beschäftigte in privaten Haushalten gibt. Auch in Deutschland wächst die Zahl. Schätzungsweise 2,6 Millionen sind es hier, vornehmlich Migrantinnen aus Osteuropa. Genaues ist nicht bekannt, denn: »80 Prozent aller Hausangestellten in Deutschland arbeiten schwarz«, sagt Karin Pape von der Organisation WIEGO, die die Organisierung von informell Beschäftigten unterstützt.

Beim Thema Haushaltsarbeit überschneiden sich Beschäftigung im informellen Sektor, Arbeitsmigration und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung - allesamt Themen, die innerhalb der ILO eher marginal sind. Deshalb war allein schon die Behandlung auf internationaler Ebene ein Erfolg. Bis heute haben 28 Länder, darunter die Bundesrepublik, das Übereinkommen ratifiziert. Eine Handvoll, angesichts von 187 Mitgliedstaaten der ILO. Karin Pape aber sagt nachdrücklich: »Wir finden das viel.« Brasilien, zum Beispiel, musste sogar seine Verfassung ändern. Viele Länder ratifizierten erst, wenn sie bereits alles gesetzlich besiegelt haben. »Und solche Prozesse dauern bekanntermaßen eine Weile.«

Auf der anderen Seite sollten die Erwartungen an ein solches Instrument nicht zu hoch sein, meint Helen Schwenken. Die Kontrolle der Konvention ist schwach. Länder, die sie ratifiziert haben, müssen alle fünf Jahre berichten. Vertragsverletzungsverfahren richten sich nur gegen die allerschlimmsten Verstöße.

Die Vertreter der EU stellten bei den Verhandlungen über die Konvention seinerzeit gern heraus, alles locker unterschreiben zu können. »In Europa«, bestätigt auch Pape, »reichen die Gesetze eigentlich aus, sie umfassen auch die Rechte von Migrantinnen ohne Papiere.« Das Problem sei aber, dass die Gesetze nicht eingehalten bzw. durchgesetzt werden. Politik und Arbeitgeber verweisen an dieser Stelle gern auf den Schutz der Privatsphäre. In Privathaushalte könne man eben nicht einfach so eingreifen. Pape hält das für vorgeschoben: »Man kann Arbeitsrechte kontrollieren, ohne die Wohnung überhaupt zu betreten.« Die Meldung bei Renten- oder Krankenversicherung lasse sich leicht überprüfen - sofern man denn einen Anhaltspunkt hat, dass es ein Beschäftigungsverhältnis im Privathaushalt gibt, was wiederum oft nicht der Fall ist.

Die ILO-Konvention zu menschenwürdiger Haushaltsarbeit - also doch nur ein klassischer Papiertiger? »Sie ist keine scharfe Waffe«, widerspricht Pape, »aber sie hat Wirkung.« So kann eine Ratifizierung frühestens nach zehn Jahren rückgängig gemacht werden. Gesetzesverschärfungen nach Regierungswechseln etwa sind damit nicht so leicht möglich. Die Konvention bindet - ein Glück womöglich für Hausangestellte in Ländern wie Brasilien, wenn man an den rassistischen und frauenfeindlichen Kurs der neuen Bolsonaro-Regierung denkt. Zudem bewirke die Konvention Veränderungen auch in Ländern, die sie gar nicht unterzeichnen, erklärt Pape. Sie sei Richtschnur, so dass zumindest einige Maßnahmen ergriffen werden, in Thailand etwa in puncto Arbeitszeit, in Indien umfasst ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz explizit auch Arbeit in privaten Haushalten.

Die größte Bedeutung der Konvention liegt aber gar nicht in ihren konkreten Regelungen, sondern in der Mobilisierung der Betroffenen. Der Arbeitsplatz Privathaushalt gehört zu den am schwersten organisierbaren Bereichen. Kolleginnen sind vereinzelt, sie treffen sich allenfalls auf dem Spielplatz oder im Supermarkt, zudem haben sie unterschiedliche Arbeitszeiten, so dass es schwer ist, einen gemeinsamen Termin für Treffen von Hausarbeiterinnen zu finden. Auch wenn in einigen Ländern der Welt Hausarbeiterinnen fast so lange organisiert sind, wie es die ILO gibt, gab es vor 2008 kaum koordinierte Aktivitäten. Das hat sich mit der Diskussion über die ILO-Konvention geändert. Heute vertritt eine globale Föderation von Hausarbeiterinnen-Gewerkschaften und Organisationen (IDWF) in 54 Ländern mehr als eine halbe Million Mitglieder. Nur in Deutschland sieht es weiterhin schlecht damit aus, hier sind noch nicht einmal größere Vernetzungen bekannt. Und Gewerkschaften haben wenig Ideen, wie sie die Organisierung von Hausarbeiterinnen verbessern können, auch wenn sich der DGB sehr für die ILO-Konvention engagiert hat.

Bei Unterstützern ist die Bilanz acht Jahre nach ihrer Verabschiedung dennoch positiv. Die Sensibilität für diese »Frauenfrage« ist gewachsen. Karin Pape ist selbst überrascht, dass die Probleme von Haushaltsarbeiterinnen auf internationaler Ebene bis heute im Bewusstsein geblieben sind. Sie werden auch in der Folgekonvention 190 zu Gewalt am Arbeitsplatz explizit erwähnt, die bei der anstehenden Jahreskonferenz der ILO in zweiter Lesung beraten werden wird. Ein Erfolg, wenn man bedenkt, dass vor zehn Jahren Hausarbeiterinnen noch dafür kämpfen mussten, dass Arbeit zu Hause überhaupt als normaler Arbeitsplatz anerkannt wird.

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