(K)eine rote Insel im schwarz-blauen Meer

In Leipzig wurde die LINKE bei der Stadtratswahl stärkste Kraft - nicht nur dank »Latte-Macchiato-Linker«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Je später der Abend, desto schöner die Zahlen: Diese Devise galt für die LINKE am Sonntag vor zwei Wochen zumindest in Leipzig. Zunächst waren am 26. Mai die Ergebnisse der Europawahl ausgezählt worden. In Sachsen schaffte es die Partei auf magere 11,7 Prozent. Erst danach wurden die Stimmscheine der Stadtratswahl gezählt, mit einem für Leipzigs Genossen sensationellen Resultat: Mit 21,4 Prozent ist die Partei zum ersten Mal stärkste Kraft im Stadtrat. Gegenüber 2014 sank das Ergebnis zwar um 2,8 Prozent; gleichzeitig gewann man aber 46.000 Stimmen dazu.

Auf den ersten Blick könnte man sagen: Kein Wunder. Leipzig ist eine boomende Stadt voll junger Hipster: die sprichwörtlichen »Latte-Macchiato-Linken«, die die Partei einer verbreiteten Wahrnehmung zufolge zulasten ihrer traditionellen Wählerklientel zuletzt umworben hat. Adam Bednarsky, der Leipziger LINKE-Chef, widerspricht indes: »Der Erfolg ist bei weitem nicht nur jung-urbanen Wählern zu verdanken.« Zwar erzielte die Partei im Szeneviertel Connewitz mit 40,6 Prozent ihr Rekordergebnis. Insgesamt seien aber »sowohl unsere alternativen als auch unsere traditionellen Milieus angesprochen« worden, so im Plattenbauviertel Grünau. Während in vergleichbaren Quartieren in Dresden und Chemnitz die AfD stärkste Kraft wurde, lag in Grünau die LINKE mit 30 Prozent vorn.

Dresden soll nicht kippen: Gespräche über Grün-Rot-Rot

Trotz schwieriger Mehrheitsverhältnisse soll es im Stadtrat von Dresden zur Neuauflage eines Mitte-Links-Bündnisses kommen.

Die Stadtverbände von Grünen, LINKE und SPD bereiten dazu Sondierungsgespräche vor. Als »besonders drängende« Themen wurden Klimaschutz, eine Verkehrswende und der soziale Wohnungsbau benannt. Bereits seit 2014 hatte es in der sächsischen Stadt eine rot-grün-rote »Kooperation« gegeben, nachdem die drei Parteien sowie die Piraten bei der Ratswahl überraschend eine Mehrheit von 37 der 70 Sitze errungen hatten. Für die Wahl Ende Mai war befürchtet worden, dass Dresden »kippt« und das rechtskonservative Lager die Mehrheit erringt. Tatsächlich könnten die drei Parteien, unter denen die Grünen nun die stärkste Kraft sind, zusammen mit drei Abgeordneten von Piraten, der »Partei« und den »Freien Bürgern« aber auf 36 der 70 Sitze kommen. Absprachen dazu sollen nun getroffen werden. LINKE-Stadtchef Jens Matthis betonte, anders als 2014 könne man »diesmal ganz sicher sein, dass alle, die Grüne, SPD, Piraten oder LINKE gewählt haben, diese Zusammenarbeit auch gewollt haben«. Jenseits dieses Bündnisses, sagte Grünen-Stadtchef Klemens Schneider, gebe es im Stadtrat »keine politischen Mehrheiten«. hla

Bestätigt die Ratswahl also das Klischee, wonach Leipzig eine »rote Insel« im ansonsten schwarzen und nun zunehmend blauen Sachsen sei? »Mit diesem Mythos müssen wir aufräumen«, sagt Bednarsky und erinnert an die Bundestagswahl 2017, als auch in Leipzig 51 Prozent CDU, FDP und AfD wählten. Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieses Ergebnisses wurde aber zuletzt mit dem Motto »Leipzig kippt nicht« für hohe Wahlbeteiligung mobilisiert - und für Stimmen für das Mitte-Links-Lager. Mit Erfolg: LINKE, Grüne und die geschwächte SPD verfügen über eine sogar noch breitere Mehrheit im Rat als bisher.

Zu den Gründen für den Erfolg der LINKEN, mit dem sie sich von einem negativen Trend im Bund habe »abkoppeln« können, zählt Bednarsky eine engagierte Ratsarbeit und profilierte Stadträte wie Sören Pellmann und Jule Nagel, die lokal bestens verankert und vernetzt sind, so auch Direktmandate in Bundes- bzw. Landtag gewinnen konnten - und die These belegen, wonach »keine Strömung und keine Altersgruppe allein« das Ergebnis hätte ermöglichen können. Den Ausschlag habe die »Breite und Balance des personellen und inhaltlichen Angebots« gegeben.

Bednarsky widerspricht auch dem Eindruck, Wahlerfolge seien in Städten wie Leipzig wegen der breiteren personellen Basis und der höheren Dichte an Abgeordnetenbüros leichter zu erringen als in der Provinz. Auch Leipzig habe »ländliche Gebiete« und Regionen, die für die LINKE zu »weißen Flecken« geworden seien, weil die Basis weggebrochen sei. In Paunsdorf etwa, einem Viertel, das mit Grünau vergleichbar ist, lag das Ergebnis unter 20 Prozent, in dörflichen Randbezirken noch deutlich darunter. Der Vorteil Leipzigs sei, räumt Bednarsky ein: »Wir können das anderswo kompensieren.«

Das können Sachsens Landkreise, in denen die LINKE bei der Wahl der Kreistage zum Teil nur noch einstellige Ergebnisse erzielte, meist nicht. Dennoch lasse sich aus dem Leipziger Wahlkampf für die bevorstehende Kampagne zur Landtagswahl in Regionen außerhalb der Großstädte lernen, glaubt Bednarsky. Wichtigste Prämisse müsse sein, »Schwerpunkte klug dort zu setzen, wo es zumindest noch eine kleine Basis gibt«: in Mittel- und Kleinstädten oder Gemeinden mit zuletzt überdurchschnittlichen Ergebnissen. Dort sei auch, wie jetzt im Landesverband diskutiert, eine »punktuelle Unterstützung aus den Stadtverbänden« denkbar - wobei Bednarsky für Augenmaß plädiert: »Es geht nicht um Hüpfburgen und Kochshows, sondern darum, mit ein paar Biertischen, ein paar Kisten Bier und roter Brause sowie einigen Plakaten den Genossen im jeweiligen Ort unter die Arme zu greifen«.

Zugleich warnt er davor, die personellen Möglichkeiten der Stadtverbände zu überschätzen. In Leipzig habe man schon vor der Stadtratswahl »alles rausgehauen, was ging«, sagt er; der Landtagswahlkampf werde nicht weniger kräftezehrend. Um etwa zu verhindern, dass die AfD in Grünau ein Direktmandat gewinnt, werde man »alles geben müssen«, sagt Bednarsky, der dort selbst antritt. Allein auf die rote Insel Leipzig und dort zu holende Direktmandate könne die LINKE im Freistaat ohnehin nicht setzen: »Wir müssen uns überlegen, wie wir auch in den Flächenkreisen wieder wahrnehmbar werden.«

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