Unbekümmert zum Sieg

Zwei Teenagerinnen könnten für die DFB-Fußballerinnen bei dieser WM entscheidend werden

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die von der Trainerin vorgegebenen Laufwege zu befolgen, ist für eine noch nicht volljährige Nationalspielerin einfacher, als nach einer WM-Partie die vorgeschriebenen Ablaufprotokolle einzuhalten. Unmittelbar nach Spielende sollen nach neuester Maßgabe des Weltverbandes alle Fußballerinnen die Mixed Zone passieren. Aber woher sollte Lena Sophie Oberdorf im Roazhon Park von Rennes wissen, wann sie wohin gehen muss? Schüchtern verharrte Deutschlands Jüngste hinter Mitspielerin Sara Doorsoun, um eine Fernsehkamera nicht zu stören. Und nachdem sie am Ende ihrer vielen Interviews fast den falschen Ausgang genommen hatte, murmelte sie: »Peinlich, peinlich!«

Zuvor, beim 1:0-Arbeitssieg gegen China, hatte die WM-Debütantin alles richtig gemacht. Die Mittelfeld-Allrounderin der SGS Essen löste mit 17 Jahren, fünf Monaten und 20 Tagen als bislang jüngste deutsche WM-Spielerin sogar Birgit Prinz ab, die bei der WM 1995 noch knapp zwei Monate älter gewesen war. »Habe ich gar nicht gewusst«, merkte sie kurz an. Sie sah auch keinen Anlass, mit der als Teampsychologin eingebundenen Ikone des deutschen Frauenfußballs deswegen gleich ein persönliches Gespräch zu führen.

Entschuldigen muss sich diese neue Generation ohnehin nicht, für die auch Giulia Gwinn zum Gesicht werden könnte. Die 19-Jährige konnte sich vor Schulterklopfern ebenfalls kaum retten. Ihr beherzter Schuss bedeutete nach 66 Minuten den Siegtreffer, obwohl die Flügelflitzerin vom SC Freiburg nach der Pause als Linksverteidigerin auflief. »Das gelingt mir kein zweites Mal«, räumte die »Spielerin des Spiels« ein. Auf der Tribüne saßen ihre Eltern, die mit dem Wohnmobil durch Frankreich touren. »Mein Vater weint eigentlich nie, aber er hatte Tränen in den Augen«, berichtete die Matchwinnerin, die ihr Tor als »Erlösung« begriff, nachdem man von den Chinesinnen »viel auf die Socken bekommen« hätte.

Die deutsche Nummer 6 (Oberdorf) und 15 (Gwinn) bringen vieles mit. Sie sind unbekümmert und unerschrocken, vielseitig und widerstandsfähig. Und sie spielen nicht zufällig für Vereine, die die meisten WM-Spielerinnen abgestellt (Essen) oder ausgebildet haben (Freiburg). Während die Gymnasiastin aus Gevelsberg noch zwei Jahre an die SGS Essen gebunden ist, wechselt die Sportmanagement-Studentin vom Bodensee nun zum FC Bayern. »Ich möchte international spielen, Champions-League-Niveau«, erklärte Gwinn. Doch erst einmal will sie bei dieser WM möglichst bis zum Halbfinale mitspielen - am 2. Juli feiert sie nämlich ihren 20. Geburtstag.

Kapitänin Alexandra Popp sagte mit einem Augenzwinkern über die beiden: »Lena ist unser Küken, und so verhält sie sich auch. Giuli ist die Hübscheste.« Dem Team hilft jedoch mehr die fußballerische Frühreife, mit der Oberdorf in ihrem vierten und Gwinn in ihrem neunten Länderspiel jene Impulse gaben, die eigentlich in einer solch heiklen Phase von den älteren Spielerinnen hätten kommen müssen. Oberdorf besitzt eine solch starke Physis, das sie wie selbstverständlich nach ihrer Einwechslung erst das Mittelfeld, dann sogar die Abwehr stabilisierte. »Die Vorgabe war: Präsenz im Zentrum zeigen und Ruhe reinzubringen«, erzählte Oberdorf. »Es spricht für Lena, wie sie das gemacht hat«, lobte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.

Bei Gwinn fiel auf, wie sie trotz schleppenden Einstiegs unbeirrt nach Lösungen suchte - egal, ob sie nun als Rechts-, Linksaußen oder Linksverteidigerin spielen musste. »Ich freue mich ganz besonders über das Tor von Giulia, weil es vor allem für die jungen Spielerinnen wichtig ist, mit einem guten Gefühl zu starten«, sagte der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou. Nur mit solchen Fußballerinnen werden die DFB-Frauen weit kommen, deshalb böte sich bereits am Mittwoch gegen die Spanierinnen an, beiden von Anfang an zu vertrauen.

»Ich gewöhne mich langsam dran, dass ich überall die Jüngste bin«, erklärte Oberdorf. »Mir sagen viele, dass ich nicht nervös rüberkomme, aber innerlich ist es eine andere Geschichte. Auf dem Platz legt sich das zügig.« Noch am Donnerstag schrieb sie im Teamhotel in der Bretagne eine Klausur in ihrem Leistungsfach Sport zum Thema Muskelphysiologie. Wobei kam sie mehr ins Schwitzen? »Definitiv war das Spiel schwieriger«, erzählte sie, »für eine Klausur kann man lernen, man weiß, was drankommt. Auf dem Platz passieren Sachen, mit denen man nicht gerechnet hat.« Gelöst haben die beiden Teenagerinnen ihre Aufgaben dennoch sehr gut.

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