Mörderische Vorboten

Gisela Friedrichsen über den Prozess gegen Beate Zschäpe und die Helfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Respekt! Gisela Friedrichsen ist eine der wenigen Journalisten, die durchgehalten haben. Wenn also jemandem ein Urteil über den Prozess gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Helfer der rechtsextremistischen Terrorgruppe zusteht, dann ihr. Zumal sie eine höchst profilierte - im Klappentext steht, die bekannteste - deutsche Gerichtsreporterin ist.

Fünf Jahre lang wurde vor dem Münchner Oberlandesgericht verhandelt. An 400 der 438 Sitzungstagen war die »Spiegel«-Frau, die 2016 zur »Welt« wechselte, im Saal. Sie hat auch dann, wenn andere ob der klimatisch erbärmlichen Verhältnisse in dem viel zu kleinen, fensterlosen Gerichtssaal längst entschlummert waren, zugehört, beobachtet, notiert. So sind ihr vielerlei Nuancen aufgefallen, die dazu angetan sind, mehr über die am Prozess beteiligten Akteure zu erfahren, als aus Medienberichten herauszulesen ist.

Der Nationalsozialistische Untergrund, kurz NSU, der zwischen 2000 und 2007 mindestens neun in Deutschland lebende Migranten und eine Polizistin umgebracht hat, der Bomben zündete und Banken überfiel, hat unvergleichlichen Schrecken verbreitet. Der sich potenzierte, nachdem nach und nach klar wurde, wie schändlich deutsche Sicherheitsbehörden beim Ermitteln der Täter versagt haben. Mehr noch, der »Fall NSU« wurde zu einem beispiellosen politischen Skandal, weil Behörden und Beamte, gedeckt von politisch Verantwortlichen, ihre Nachlässigkeit und Unfähigkeit zu kaschieren suchten, in dem sie Akten vernichteten, mit Falschaussagen auftraten und notwendige Ermittlungsfelder nicht beackerten. Doch das ist nicht das Thema des Buches.

Gewiss, andere Autoren brachten ihre Prozessbeobachtungen schneller auf den Markt. Dafür liest sich »Der Prozess« von Friedrichsen geradezu spannend. Die Autorin nahm sich Zeit, zu verarbeiten, was sie auf 80 DIN A4-Seiten notiert und bei anderen gelesen oder gehört hat. Sie gibt Dialoge wieder, die die Atmosphäre im Saal nachvollziehbar machen. Friedrichsen wählte gründlich aus der Fülle des Materials aus. So gelingt es der Chronistin, ihre Leser, denen sie bereits auf den ersten Seiten vielschichtige Neugier einpflanzt, über 300 Seiten hinweg nicht zu enttäuschen.

Rund 600 Zeugen und Sachverständige wurden in München gehört. Friedrichsen stellt uns nur die vor, die mit Substanz aufwarteten oder sonst nachhaltige Aufmerksamkeit verdienen. Zwar vermerkt sie notwendigerweise die sich allzu oft ergebende quälende Länge des Prozesses, die sich vor allem aus 264 Beweis- und 43 Befangenheitsanträgen der Verteidiger und Nebenklagevertreter ergab, doch sie zieht den Leser niemals in den Strudel der zumeist taktischen Scharmützel hinein. Dank der Sortierung, die die Autorin vornimmt, ist das chronologische wie thematische Durcheinander des Prozesses für den Leser kein Problem.

Glaubt man der Anklage - und Friedrichsen folgt ihr kritiklos, was eine gravierende Schwäche des Buches ist -, so bestand der NSU nur aus drei jungen Leuten aus Jena. Die gerieten in den wirren Nachwendejahren auf falsche Pfade, wurden Neonazis, provozierten, bauten Hass vor allem gegen Ausländer auf, näherten sich erst geistig gewalttätigen Formen des Kampfes, dann bastelten sie Bomben und tauchten unter, als die Polizei ihnen auf die Spur kam. Sie wurden zu skrupellosen Mördern. Die Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben sich, nachdem ein Banküberfall im thüringischen Eisenach nicht nach Plan lief, selbst gerichtet. Das war am 4. November 2011. Ihre Komplizin, Beate Zschäpe, stellte sich Tage später der Polizei. Sie schien zunächst aussagewillig, schwieg dann aber vor Gericht. Jahrelang. Die vier Mitangeklagten, die die Untergetauchten unterstützten, sind für Friedrichsen letztlich nur mehr oder weniger interessante Randfiguren.

Allzu leichtfertig lehnt Friedrichsen Fragen und von der Anklage - und damit dem Prozess - abweichende Überlegungen zum NSU als »Spekulationen« und »Verschwörungstheorien« ab. »Blood & Honour«, »Combat 18«, Mutmaßungen über den Fortbestand des NSU - Friedrichsen meidet derartige Überlegungen. So wie das Gericht es tat. Aber zahlreiche Erkenntnisse, die durch Abgeordnete in diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gewonnen oder durch Nachforschungen von Journalisten und antifaschistischen Recherchegruppen gewonnen wurden, belegen, dass die pauschale Kritik und die Ignoranz der Autorin falsch sind.

Das trifft auch auf Urteile über die Nebenklage und deren Arbeit zu. Durchaus berechtigt und detailliert schildert Friedrichsen unterschiedlichste Interessen, mit denen Rechtsanwälte als Vertreter von Opferfamilien und Geschädigten ihre Rolle vor Gericht verstanden. Von pekuniärer Betrugsabsicht bis zum ungezügelten Wunsch nach Wahrheit - alles ist vertreten.

Mehrfach beschuldigt die Autorin Nebenklageanwälte, sie hätten nur politische Propaganda betreiben wollen. Insbesondere »linke Berliner Anwälte« hätten den Staat und seine Institutionen attackiert, »weil die dem V-Mann-Unwesen nicht Einhalt böten und bei Rechtsterrorismus beide Augen verschlössen«. Kein Verständnis finden auch »türkischstämmige Anwälte wie der in Deutschland geborene und aufgewachsene Mehmet Dalmagüler« … die einen »angeblichen ›institutionellen Rassismus‹ in Deutschland« anprangerten. Umso begeisterter ist die Autorin von der Prozessführung Manfred Götzls und meint, Dank der »exorbitanten Leistungen des Senats und seines Vorsitzenden« habe der Rechtsstaat die Nagelprobe bestanden.

Die Wertung der Autorin ist sicher für viele Prozessbeobachter strittig. Nicht jedoch eine andere, die sich in diesen Tagen nach dem Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke mit erschreckender Deutlichkeit beweist: »Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren gleichsam die Vorboten einer erstarkenden rechtsextremen Bewegung, die sich anheischig macht, an den Grundfesten der europäischen Demokratie zu rütteln.«

Gisela Friedrichsen: Der Prozess. Der Staat gegen Beate Zschäpe u.a. Penguin Verlag, 301 S., geb., 22 €.

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