Ethikrat gegen Impfpflicht für alle

Kritik am Aktionismus des Gesetzentwurfs aus dem Gesundheitsministerium

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Deutsche Ethikrat lehnt eine allgemeine Impfpflicht ab. Impfungen seien sehr wichtig, doch eine gesetzliche Impfpflicht berge den Erkenntnissen zufolge sogar die Gefahr, die Ablehnung in der Bevölkerung zu steigern und das Gegenteil zu bewirken: »Das Ziel mit der Brechstange erreichen zu wollen, wird nicht wirksam sein«, warnte der Vorsitzende Peter Dabrock. Einen Seitenhieb gegen den nach einem Masernausbruch schnell im Bundesgesundheitsministerium erarbeiteten Gesetzentwurf zur Masernimpfpflicht darf man in Dabrocks Bemerkung vermuten, dass die enorme mediale Aufmerksamkeit für das Thema möglicherweise auch aus persönlichen Gründen erzeugt wurde.

Der Leiter der Arbeitsgruppe für die Impf-Stellungnahme, der Humangenetiker Wolfram Henn, betonte noch einmal die Wichtigkeit der Masernimpfung: »Wir schulden unseren Nachkommen eine masernfreie Welt.« Allerdings, so die Stellungnahme des Rates, ist dazu ein ganzes Bündel von Maßnahmen nötig. Eine Impfpflicht empfiehlt der Ethikrat für Berufsgruppen »in besonderer Verantwortung« - Personal im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen, weil für Ärzte, Lehrer und Pflegekräfte die Ansteckungsgefahr höher ist. In diesen Berufen unterstützt die Ratsmehrheit auch die Androhung eines Beschäftigungsverbots für Impfverweigerer. In einem Minderheitenvotum lehnt die Medizinerin Christiane Fischer allerdings auch in diesem Falle eine gesetzliche Pflicht ab.

Einig dagegen ist sich der Rat darin, dass sich insbesondere für Klein- und Schulkinder eine Impfpflicht nicht rechtfertigen lasse. Denn in dieser Gruppe sind die Impfquoten ohnehin am höchsten. Die Erstimpfung gegen Masern hätten 97 Prozent der Kinder, die notwendige zweite allerdings nur noch 93 Prozent. Zum Schutz der nicht impfbaren Kinder wären auch bei der zweiten Impfung 95 Prozent nötig. Dagegen seien nur 46 Prozent der 30- bis 39-Jährigen gegen Masern immunisiert. Folgerichtig tritt die Hälfte aller Neuerkrankungen an Masern bei Erwachsenen auf, sagte Henn. Damit zielt die Linie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in eine falsche Richtung, wenn sie sich auf die Verpflichtung zur Masern-Schutzimpfung bei Kita- und Schulkindern konzentriert. Laut dem Gesetzentwurf aus dem Hause Spahn sollen ungeimpfte Kleinkinder keine Kita besuchen dürfen, Eltern von Schulkindern sollen Bußgelder bis 2500 Euro zahlen.

Der Ethikrat meint hingegen, Ausschlüsse aus Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sollten nur in Ausnahmefällen möglich sein. Bußgelder lehnt das Gremium ab. Es empfiehlt stattdessen obligatorische Kontrollen des Impfstatus’ der Kinder, die gezielte Ansprache der Eltern und Impftage in Kitas und Schulen. Überdies plädiert das Gremium auch für eine Gesetzesänderung: Eltern sollten mit der Anmeldung zur Kita nicht mehr nur nachweisen müssen, dass sie sich zu Impfungen haben beraten lassen, sondern den tatsächlichen Impfschutz ihres Kindes dokumentieren.

Um die massive Impflücke bei Erwachsenen zu schließen, empfiehlt der Ethikrat dringend gezielte Aufklärungs- und Impfkampagnen. Da nur rund zwei Prozent der Erwachsenen fundamentale Impfgegner seien, seien niedrigschwellige Angebote für Erwachsene nötig: Impfsprechstunden in Tagesrandzeiten für Berufstätige, Impftage an Bildungseinrichtungen. Außerdem sollten alle Ärztinnen und Ärzte fachübergreifend zur Durchführung von Impfungen befugt und qualifiziert werden, Arztpraxen zu Impf-Erinnerungen verpflichtet und dafür angemessen vergütet werden. Die Politik solle sich auf diese Gruppe konzentrieren, nicht auf die kleine Gruppe der Impfgegner, erklärte Henn. Außerdem fordert der Ethikrat für Ärzte, die Fehlinformationen über die angeblichen Gefahren von Impfungen verbreiten, berufsrechtliche Sanktionen.

Ebenfalls am Donnerstag veröffentlichten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Akademie der Wissenschaften in Hamburg ein Diskussionspapier, in dem sie einen leichteren Zugang zu Schutzimpfungen fordern. Die dafür erforderlichen Änderungen könnten unabhängig von der derzeit diskutierten Impfpflicht umgesetzt werden, erklären die Autoren.

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