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Ein Viertel ohne Polizei ist noch nicht die Morgenröte der Revolution

Der Hamburger Autonome Andreas Blechschmidt kritisiert die Aufstandsromantik, die sich zwei Jahre nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in linken Publikationen immer wieder findet

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Was hat Sie dazu bewogen, neben Ihrer Lohnarbeit und politischen Aktivitäten ein Buch über Polizeigewalt und linke Militanz beim G20 in Hamburg zu schreiben?

Vor zwei Jahren hat mit dem G20-Gipfel der größte Polizeieinsatz in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands stattgefunden. Erwartungsgemäß hat es im Nachgang bei den politisch und polizeilich Verantwortlichen für die systematischen Rechtsbrüche und die massive Polizeigewalt keinerlei erkennbare Selbstkritik gegeben. Was mich aber dann doch überrascht hat, war die Tatsache, dass auch innerhalb der radikalen Linken in den öffentlich wahrnehmbaren Analysen und Reaktionen überwiegend nur Erfolgsmeldungen verbreitet wurden.

Andreas Blechschmidt

Andreas Blechschmidt, 53 Jahre alt, studierte Germanistik und Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Er arbeitete viele Jahre als Altenpfleger und war dabei zeitweilig Betriebsratsvorsitzender. Auch war er in einem Anwaltskollektiv beschäftigt. Derzeit arbeitet er in einem alternativen Bestattungsunternehmen und als freier Autor. Seit 1988/89 die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel besetzt wurde, engagiert er sich in dem autonomen Zentrum. Blechschmidt fungierte oft als Sprecher und Anmelder für Versammlungen der autonomen Linken, auch für die von der Polizei gewaltsam aufgelöste »Welcome To Hell«-Demonstration während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg. Kürzlich erschien sein Buch »Gewalt. Macht. Widerstand. G20 - Streitschrift um die Mittel zum Zweck« (Unrast-Verlag, 160 S., 12,80 €). Mit Blechschmidt sprach Gaston Kirsche.

Foto: dpa/Daniel Bockwo

Kritik Fehlanzeige?

Ja, und das hat sich weder mit meinen Wahrnehmungen noch mit denen vieler Genossen und Genossinnen, mit denen ich diskutiert habe, gedeckt. Für mich drückte sich darin ein grundlegendes Defizit linksradikaler Debatten aus, in denen nämlich politischer Widerspruch zu oft als unsolidarisch, spalterisch und als Ausdruck von Renegatentum abgetan wird. Diese unerfreuliche Erfahrung durfte ich leider auch persönlich machen, da hatte ich keine Lust, das so stehen zu lassen.

Sind in das Buch auch Debatten aus der Roten Flora eingeflossen?

Nein. Wir haben in der Roten Flora sehr kontrovers miteinander gestritten, weil es innerhalb des Projekts über das öffentliche Agieren der Flora insbesondere nach den militanten Auseinandersetzungen der Freitagnacht auch intern Kritik gab. Aber wenigstens war hier das menschliche Miteinander fair und respektvoll. Mein Buch ist ausdrücklich eine persönliche Positionierung, die erst mal nichts mit der Haltung der Aktivistinnen und Aktivisten der Roten Flora zu tun hat.

Aber mit Ihrem Engagement beim Gipfelprotest: Sie haben unmittelbar nach dem Barrikadenabend im Schanzenviertel am Freitag in der Nacht in einem Interview mit dem NDR Kritik an Formen der praktizierten Militanz geübt. Wie war das genau im Juli 2017?

Das war nicht mein Privatvergnügen, sondern ich habe damals im Auftrag und mit dem Mandat für die in der Nacht in der Flora befindlichen Aktivistinnen und Aktivisten gesprochen. Mir wurde im Nachhinein aus der Szene vorgeworfen, ich hätte hier als Altkader persönlich meinem Geltungsbedürfnis Raum verschaffen wollen. In der Sache haben wir jedenfalls geäußert, dass wir Militanz für berechtigt halten, aber Widerspruch zu den Ausdrucksformen hatten, womit wir natürlich die Brandstiftungen an Geschäften, über denen sich Wohnungen befanden, meinten, die uns tatsächlich entsetzt haben. In der Nacht haben wir aus taktischen Gründen diese Brandstiftungen, von denen wir eben wussten, bewusst nicht aktiv benannt. Deswegen klang im Nachhinein diese Kritik der Militanz mit der sehr allgemeinen Formulierung, sie habe sich an sich selbst berauscht, natürlich altbacken und beleidigt.

Und deshalb wurde Ihnen persönlich von anarchistischen Gruppen in der Broschüre mit dem Titel »Rauchzeichen« »kriecherischer Opportunismus« vorgeworfen. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?

Na ja, der ehemalige GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede hat mir unmittelbar nach dem Gipfel persönlich in der FAZ in einem offenen Brief seine Verachtung erklärt. Da müssen die anarchistischen Genossinnen und Genossen mit klarkommen, in welche Gesellschaft sie sich begeben haben, wenn sie mich ihrerseits für einen kriecherischen Opportunisten halten, vor dem sie übrigens, um das Zitat mal vollständig zu machen, Ekel empfanden.

Eine autonome Gruppe hat sich in der »Rauchzeichen«-Broschüre darüber lustig gemacht, dass es im Schanzenviertel Linke gebe, die den Riot »sogar an der Verträglichkeit für Kinder messen wollen«. Was sollen Anwohner*innen denken, wenn sie so etwas lesen?

Ich habe aus den Diskussionen und Auseinandersetzungen, die die Flora mit der Nachbarschaft nach dem G20 geführt hat, eine Ahnung, was die Antwort der in der Schanze lebenden Menschen wäre. Ich halte solche herablassenden Sprüche für Heldentum an den Tasten des Computers, das im direkten Gespräch wahrscheinlich wie Schnee in der Sonne schmelzen würde.

Sie schreiben von doppelter Ausgrenzung der Anwohner*innen - durch die Polizeimacht und durch Militante beim Aufstand, beim Riot. Sehen das andere Linke aus dem Schanzenviertel auch so?

Oh, ich würde sagen, eine gute Frage an die anderen Linken im Schanzenviertel. Für mich drückt sich in dieser Konstellation aus, ob die radikale Linke den gesellschaftlichen Resonanzraum als Bezugspunkt für die eigene Politik in Betracht zieht. Ich finde es richtig, die eigenen politischen Inhalte nicht für das Strohfeuer populistischen Zuspruchs zu opfern. Mensch muss es aushalten können, mit der Verteidigung militanter Aktionen manchmal sehr einsam auf weiter Flur zu stehen. Aber das kann ja nicht im Umkehrschluss bedeuten, mit der militanten Walze über alles und jeden hinwegzurollen, denn mit dieser Haltung gäbe es in Hamburg weder die genossenschaftlich verwalteten Häuser an der Hafenstraße noch die besetzte Rote Flora oder die Gängeviertel-Genossenschaft.

In Ihrem Buch legen Sie ausführlich dar, dass militante Aktionsformen immer vermittelbar sein müssen und dass Gegengewalt kein Wert an sich ist. Ist das kein Konsens in der autonomen Szene?

Da bin ich mir sicher, dass es im Grundsatz darüber einen Konsens nicht nur in der autonomen, sondern auch in der militanten Linken insgesamt gibt. Aber der Teufel steckt eben im Detail, in der Beurteilung der konkreten Aktion. Genau da wird es interessant. Als am Freitagmorgen des 7. Juli eine Gruppe Demonstrierender auf der Elbchaussee Kleinwagen in Brand gesetzt und weitere Objekte angegriffen hat, war die politische Haltung darin meiner Meinung nach klar erkennbar: Dem gewaltsamen Allmachtsanspruch des polizeilichen Kontrollregimes der vorangegangenen Tage sollte eine klare Grenze aufgezeigt werden. Ob das aber in der konkreten Ausführung widerspruchsfrei gelungen ist, ist für mich diskussionsbedürftig. Doch angesichts der staatlichen Repression, insbesondere auch wegen des aktuell laufenden Prozesses in Hamburg, gehören mein Herz und meine Solidarität allen, die an dem Morgen auf der Straße waren.

Sie schreiben, militante Politik muss immer die repressive, gewaltförmige Reaktion staatlicher Institutionen mit bedenken und dies bei der Wahl der Mittel beachten. War die autonome Linke beim G20-Protest militanter als es ihre marginale gesellschaftliche Position erlaubt?

Gerade der G20 in Hamburg ist ein Beispiel dafür, dass das nicht mit Zirkel und Lineal vorher abgesteckt werden kann. Das Gerede der Politik vom »Festival der Demokratie«, gefolgt von den offenen Rechtsbrüchen der Polizei und der krassen Polizeigewalt, das überwiegende Schweigen der sogenannten Zivilgesellschaft und die Komplizenschaft der Leitmedien mit dieser Machtdemonstration hat zu einer großen Wut auf der Straße geführt. Wenn es so etwas wie »die« Politik der Herrschenden gibt, dann waren die militanten Auseinandersetzungen während des G20 in Hamburg eine Antwort auf die Arroganz dieser Herrschenden. Das wundert mich angesichts des Eskalationskurses der Polizeiführung nicht. Aber dann müssen wir weiterreden: Deshalb gibt es keinen Grund, Geschäfte, über denen Menschen wohnen, anzuzünden. Wer das nicht auseinanderhalten kann, wer das kleinredet oder bitte nur szeneintern besprechen möchte, hat ein echtes politisches Problem.

Die Verklärung des Barrikadenabends beim G20 zu einer vorrevolutionären Situation oder Blaupause für kommende Aufstände lehnen Sie entschieden ab.

Ja, ein dreistündiger polizeifreier Raum ist weder im Ansatz der Auftakt einer vorrevolutionären Situation noch das Aufscheinen eines kommenden Aufstandes. Ich will jetzt gar nicht um einen Blick ins Geschichtsbuch revolutionärer Kämpfe bitten. Aber die Aussetzung einer polizeilichen Räumung ist nur die Aussetzung einer polizeilichen Räumung. Und nicht die Morgenröte der Revolution.

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