Der Eisberg unter der Spitze

In 33 Ländern werden Hunderte Dopinghändler festgesetzt. Zentrum ist der Freizeitsport

  • Tom Mustroph, Nancy
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zahlen klingen beeindruckend. In 33 Ländern waren Ermittler dopenden Sportlern und ihren Lieferanten auf der Spur. Neun Untergrundlabore wurden ausgehoben, 234 Verdächtige verhaftet und 3,8 Millionen Dopingpräparate und gefälschte Medikamente sichergestellt. Das teilte die europäische Polizeibehörde Europol am Montagabend mit.

Betroffen sind bislang vor allem Freizeitsportler, denn die Ermittler waren im Umfeld von Fitnessstudios aktiv. Hotspots waren offenbar Ungarn und Spanien. In beiden Ländern richtete Europol mobile Büros ein.

Eine Handelsdrehscheibe befand sich anscheinend in Wien. Wie das österreichische Bundeskriminalamt am Dienstag mitteilte, wurden mehr als 20 Lieferungen mit Dopingpräparaten und illegalen Arzneimitteln nach Österreich geschickt und von dort durch einen Wiener Paketservice-Dienstleister in zumindest neun EU-Staaten weitergeliefert.

Weil Europol insgesamt 1357 Urin- und und Blutkontrollen erwähnt, die im Rahmen der Operation vorgenommen wurden, könnten allerdings auch Spitzensportler betroffen sein. Auch die Beteiligung der Welt-Antidoping-Agentur WADA in die Ermittlungen lässt darauf schließen. Auf Nachfrage von »nd« teilte ein Sprecher Europols mit, dass es in der Verantwortung der nationalen Behörden lag, ob sie ihre Ermittlungen auf Kaderathleten, Freizeitsportler oder Hintermänner konzentrierte.

Bei der Tour de France der Radprofis hinterließ die Nachricht kaum Wirkung. »Ich erfahre es jetzt erst von Ihnen, daher konnte ich mich noch nicht damit beschäftigen«, sagte Dave Brailsford, Teamchef von Ineos. Dirk Demol, sportlicher Leiter von Katusha Alpecin, zuckte ebenfalls nur mit den Schultern. »Ich konzentriere mich hier auf den Sport. Alles, was außerhalb der Tour de France passiert, nehme ich jetzt nicht zur Kenntnis«, meinte der Belgier.

Bei denen, die sich etwas intensiver mit der Nachricht auseinandergesetzt hatten, herrschte vor allem Erleichterung, dass ihr Sport dieses Mal nicht im Fokus steht, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. »Ja, es ist immer gut, wenn der Radsport nicht betroffen ist. Das ist ja sonst oft der Fall. Aber die Dopingproblematik ist nicht nur eine im Radsport, sondern generell im Sport«, sagte der Berliner Profi Maximilian Schachmann dem »nd«.

Auch Antidopingexperten halten eine Verbindung für eher unwahrscheinlich. »Das sind zwei Welten, Fitnessstudios und Profiradsport. Ich denke, die Methoden im Radsport sind wesentlich weiter entwickelt und verfeinert«, meinte Michael Rasmussen. Der Däne war einst selbst eine Skandalfigur im Profiradsport. Er arbeitet jetzt als Kolumnist für die dänische Tageszeitung »Ekstrabladet«.

Rasmussen hatte zumindest einen Erklärungsansatz für die Dopingkontrollen im Zuge der Operation Viribus: »Bei uns in Dänemark erklären sich viele Fitnessstudios für Dopingkontrollen der Antidopingagentur bereit. Sie garantieren, dass all ihre Kunden getestet werden können.« Die Wirksamkeit sei jedoch beschränkt: »Wer nicht kontrolliert werden will, geht eben in ein anderes Studio.«

Kai Gräber, Dopingstaatsanwalt in München, zeigte sich am Dienstag etwas überrascht von den Meldungen. Er war einer der leitenden Ermittler der Operation »Aderlass«, die im Frühjahr ein Dopingnetzwerk im Winter- und Radsport aufgedeckt hatte. »An uns ist kein Rechtshilfeersuchen ergangen«, sagte er. Sollten sich ausgehobene Dopinglabore in Deutschland befinden, handele es sich demnach nicht um bayerische. Eigene Untersuchungen der Schwerpunktstaatsanwaltschaft hatten in den vergangenen Jahren allerdings zum Aufspüren illegaler Labore in Berlin und in Nordrhein-Westfalen geführt, so Gräber.

So bleibt in Expertenkreisen viel Skepsis, ob es sich bei der Operation Viribus überhaupt um aktuelle Ermittlungen handelt. Vermutet wird, dass die Ergebnisse verschiedener Ermittlungen in verschiedenen Ländern einfach unter diesem Titel zusammengefasst wurden. Laut Europol dauerte die »operative Phase vom 15. Januar bis Ende April«. Das erinnert ein wenig an die Operation Veto im Jahr 2013. Auch damals hatte Europol mit gewaltigen Zahlen bei manipulierten Fußballspielen für Aufregung gesorgt. Dabei hatte man lediglich verschiedene Ermittlungen und Statistiken addiert.

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