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Auf die harte Tour

Boris Johnson hat gegenüber der EU äußerst aggressive Töne angeschlagen. Welches Ziel verfolgt der neue britische Premierminister?

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Ergebnis der parteiinternen Wahl zum Tory-Parteichef war keine große Überraschung: Es war klar, dass Boris Johnson die Abstimmung unter den gerade einmal 160 000 konservativen Parteimitgliedern gewinnen und er damit neuer britischer Premierminister werden würde. Die einzige offene Frage lautet: Was für einen Kurs wird er einschlagen?

Während des Wahlkampfes hatte er sich kämpferisch gegeben und erklärt, er werde von Brüssel ein neues Austrittsabkommen verlangen, das keinen Nordirland-»Backstop« enthält, jenen Notfall-Mechanismus, mit dem eine harte Grenze in Irland vermieden werden sollte. Da Großbritannien damit auf unbestimmte Zeit an die EU gebunden wäre, gingen vor allem die Brexit-Hardliner dagegen von Anfang an auf die Barrikaden. Johnson kündigte auch an, die EU beim nächsten Brexit-Termin am 31. Oktober zu verlassen - mit oder ohne Abkommen.

Einige Beobachter vermuteten, dass Johnson - einmal in Downing Street angekommen - seine Rhetorik zurückfahren und einen versöhnlicheren Kurs gegenüber der EU einschlagen würde. Das Gegenteil tritt nun ein.

Johnson feuerte mehr als das halbe Kabinett und besetzte die Schlüsselfunktionen dort mit Brexit-Hardlinern. Und er verstärkte seine bisherigen Angriffe gegenüber der Europäischen Union: Sollte es zu keiner Einigung mit Brüssel kommen, würde er sich weigern, die Schlussrechnung von 39 Milliarden Pfund zu begleichen, zu deren Zahlung sich noch die Regierung von Theresa May verpflichtet hatte. Und Johnson ließ unverhohlen wissen, dass er dann der EU die Schuld an alledem geben würde. So weit, so schlecht.

Was hat Johnson nun vor? Er scheint zwei Ziele im Auge zu haben. Zum einen, dass er mit seiner unnachgiebigen Rhetorik einen Keil zwischen die 27 verbleibenden EU-Staaten treiben kann, die bislang gegenüber London erstaunlich geschlossen aufgetreten sind. Solche Versuche hatte auch Theresa Mays Regierung immer wieder unternommen. Jedoch blieben sie ohne Erfolg. Zum anderen scheint er darauf zu hoffen, dass einige Regierungen von EU-Staaten, die ohnehin schon im Streit mit Brüssel sind - wie etwa Polen und Ungarn -, in die Bresche springen und von der EU verlangen könnten, eine Einigung mit Großbritannien zu suchen.

»Er hat keine Prinzipien und wird immer das sagen, was ihm hilft.«

Doch die EU hat bereits verkündet, sich nicht durch Johnsons aggressiven Vorstoß in die Knie zwingen zu lassen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte ein weiteres Mal klar, dass es keine Veränderungen am Austrittsabkommen geben könne, das die EU mit Theresa May ausgehandelt hatte. Und EU-Chefunterhändler Michel Barnier informierte europäische Diplomaten darüber, dass Johnsons Forderungen nach einem neuen Abkommen »inakzeptabel« seien und er auch kein Mandat habe, ein neues Abkommen auszuhandeln. Die zukünftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hofft auf konstruktive Zusammenarbeit mit Johnson, doch betonte die CDU-Politikerin mit Blick auf dessen Brexit-Kurs: »Wir stehen vor anspruchsvollen Zeiten.«

Dabei geht es bei den Verhandlungen für Johnson um alles. Entweder er ermöglicht den versprochenen Brexit bis zum 31. Oktober oder seine politische Karriere dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach vorbei sein. Das dürfte ihm klar sein und somit bleibt ihm wohl nur noch Plan B: Vorgezogene Neuwahlen. Das Säbelrasseln der vergangenen Tage wäre dann nicht viel mehr als Wahlkampf-Rhetorik gewesen. Denn im Parlament hat Johnson dasselbe Problem wie Theresa May: Er hat nur eine hauchdünne Mehrheit, die jederzeit zerfallen kann. In den hinteren Reihen der Tory-Fraktion sitzen einige Pro-EU-Rebellen, die alle Versuche, das Land ohne ein Abkommen aus der EU zu führen, verhindern dürften.

Für die Wahlkampf-Theorie spricht neben den unerfüllbaren Forderungen an die EU auch die lange Liste der Versprechen, die Johnson diese Woche abgegeben hat: So möchte er den rigiden Austeritätskurs der Vorgängerregierung faktisch beenden und mehr Geld in die Polizei, das Gesundheitssystem und die Bildung stecken, doch zugleich die Steuern für Besserverdiener senken. Großbritannien soll ein weltweiter Führer bei den erneuerbaren Energien werden und bis 2050 CO2-neutral sein. Und Johnson möchte ein Einwanderungssystem nach dem Vorbild Australiens einführen, bei dem Arbeitserlaubnisse nach Qualifikationen vergeben werden. Das klang schon alles sehr nach Wahlkampf.

Johnson dürfte, sobald klar ist, dass die EU nicht einknicken wird, seine Angriffe auf Brüssel massiv verschärfen, in der Hoffnung, damit die Brexit-Unterstützer - die bei den Europawahlen in Scharen zur »Brexit Party« des Rechtspopulisten Nigel Farage übergelaufen sind - zurückzuholen. Sollten die Gespräche mit Brüssel dann irgendwann erwartungsgemäß scheitern, dürfte Johnson sich selbst und das Land als Opfer der EU inszenieren und Neuwahlen ausrufen.

Das Chaos, das er damit anrichten könnte, scheint er in Kauf zu nehmen. Eine ehemalige Kollegin aus der Zeit, als Johnson in den 1990er-Jahren Brüssel-Korrespondent des Daily Telegraphs war, sagte über ihn kürzlich: »Er hat keine Überzeugungen und keine Prinzipien und wird immer das sagen, was ihm an dem jeweiligen Tag hilft, ihn voranzubringen.« Es drehe sich alles nur um ihn.

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