Ruhig Blut, es ist nur eine Haltungssimulation!

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Was Journalisten auch nicht haben, ist Humor. Dutzende Male habe ich erlebt, wie sie mich in Mikrofone und Fernsehkameras unbezahlt erdachte Pointen erzählen ließen, um dann doch den einen ernsten Satz, der mir rausrutschte, zu senden oder zu drucken, weil noch nicht mal das Signal »Titanic-Chefredakteur« ausreicht, mal dem Publikum vermeintlich seriöser Medien Uneigentliches, Ironisches oder schlicht Albernes zuzumuten.

Das Einzige, was mir den Spaß an diesen unwürdigen Interviewsituationen erhielt, war das Personal für Ton, Kamera oder Fotografie, das selbst mittelmäßige Pointen als Abwechslung in ihrem Alltag als technische Anhängsel unangemessen selbstbewusster Redakteure goutierte, während jedes Scherzlein dem Gockel mit den Fragen Schweißperlen in die Stirnfalten zauberte, weil doch am Ende immer alles ernst sein muss.

Meinungen haben Journalisten natürlich trotzdem auch zum Thema Komik, weil sie halt zu allem etwas meinen müssen, ist ja ihr Job. Timo Frasch von der »FAZ« zum Beispiel hat beobachtet: »Viele Satiriker nehmen sich und ihr Tun heute wahnsinnig ernst. Sie beanspruchen, eine ›Haltung‹ zu haben. Selbst Oliver Pocher hat sich gegen die AfD positioniert - der kleinste gemeinsame Nenner der Branche.«

Das klingt erstmal nicht falsch, ist es aber doch in jedem Satz. Satiriker nahmen sich schon immer zwangsläufig ernst, weil man ohne eine halbwegs fundamentale politische Position keine Satire produzieren kann, höchstens Komik in ihren zig anderen Formen. Deswegen käme auch niemand außer Begriffsstutzigen wie Frasch auf die Idee, Oliver Pocher in die Nähe eines Satzes mit Satire zu bringen. Abgesehen davon dürfen auch nervige Kasper privat politische Ansichten haben.

Was Frasch meinen könnte, wenn er wüsste, wovon er redet: dass Komikschaffende dieser Tage gleich ihm keinen Begriff davon haben, was noch Satire sein könnte. Doch darum geht es ihm nicht. »Haltung - oder die Simulation davon - hat der Neugier den Rang abgelaufen« - wer erinnert sich nicht an die Neugier eines Karl Kraus? »Das Credo lautet: Die Welt sei aus den Fugen geraten, dagegen müsse man was tun. Da ist was dran - auch wenn bei vielen Fragen Zweifel bestehen, was besser ist: ruhig Blut bewahren oder aufgebracht sein.« Die Simulation von Haltung, das ist das Geschäft der Journalisten; Satiriker sollen dagegen ruhig Blut bewahren, damit sie dem Frasch das schlechtlaufende Geschäft nicht noch zusätzlich vermiesen.

»Über vieles würde man ja hinwegsehen, wären die Satiriker in ihrem Kampf bisher erfolgreich gewesen. Aber das lässt sich nicht ohne Weiteres sagen: Die AfD hat sich immer mehr radikalisiert, und Donald Trump sitzt fest im Sattel, obwohl sich ein ganzer Stoßtrupp von Late-Night-Moderatoren in Amerika Abend für Abend an ihm aufreibt.« Der vermutlich dümmste aller altbekannten Vorwürfe an Spaßmacher ist: dass sie mit Witzen nicht erreichen, was Ernstmacher als Anspruch an ihr Leitartikelgeschwalle nie stellen würden. Denn gelacht darf nur werden, wenn es der Ernst erlaubt! Und das tut er nur, wenn Satire, wie alles, was Deutsche mögen, vor allem Besserungsanstalt ist: »Satire soll wehtun dürfen und wirken, irritieren und aufklären zugleich.«

Aber eigentlich soll sie dafür sorgen, dass Timo Frasch sich wohlfühlt, er ihm Fremdes auslachen und sich dabei auch noch als Aufklärer fühlen kann: »Im Moment trifft sie zu oft dieselben - und überlässt so die problematischen oder wenigstens skurrilen Aspekte von Identitätspolitik, Einwanderung oder Islam den falschen Leuten.« Jaja, die wenigstens skurrilen Aspekte von Islam. Es ist genau diese vermeintlich harmlose Forderung nach Nicht-Verschonung, die einem den Spaß an Witzen auch nur mit Marginalisierten raubt: Man weiß genau, dass die Timo Fraschs dieser Welt aus falschen Gründen mitlachen werden.

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