Punktsieg für Babiš

Justiz entlastet tschechischen Premier in Storchennest-Afffäre / EU setzt Ermittlungen fort

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Entscheidung der Prager Staatsanwaltschaft kam nicht überraschend: Bereits zu Beginn des Monats verstärkten sich Informationen, dass die Ankläger gewillt seien, die Untersuchungen gegen den amtierenden Premier, ANO-Chef und Agrarmilliardär Andrej Babiš fallenzulassen. Die am Freitag offiziell gelieferte Begründung lautet, die Anschuldigung sei nicht haltbar, Agrofert Holding von Babiš habe zwei Millionen Euro Subventionsgelder ungerechtfertigt aus EU-Hilfsmitteln genommen. Vielmehr handele es sich bei dem Wellnessressort »Storchennest« um ein »kleineres oder mittelständisches Unternehmen«, und gerade für diese seien die Fördergelder aus Brüssel gedacht. Somit, so Staatsanwalt Jaroslav Šaroch, sei das Verfahren gegen Agrofert einzustellen.

Die politische Opposition in Tschechien protestiert. Der frühere Wirtschaftsminister und Fraktionsvorsitzende der konservativen TOP09, Miroslav Kalousek, kommentierte ironisch: Wundert jemand noch diese Entscheidung? Denn bislang hat Babiš auf jede ermittelnde Aktivität scharf reagiert und unliebsame Personen ausgetauscht. Der spektakulärste Fall war die Umbesetzung des Justizressorts, an dessen Spitze der Premier die ihm zudienende Marie Benešová setzte. Die Nominierung führte im Frühjahr zu massiven Protesten sowohl in der Hauptstadt als auch in der tschechischen Provinz.

Noch ist die Entscheidung der Prager Staatsanwaltschaft nicht rechtskräftig, auch wenn der Premier auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz seine Erleichterung ausdrückte. Der Fall muss nun von der tschechischen Generalstaatsanwaltschaft entschieden werden. Nebenher ermittelt die Polizei weiter. In Sachen »Storchennest« geht es nicht nur um den international bekannten Subventionsbetrug, sondern auch um erhebliche Ungereimtheiten in Sachen Steuern. Noch haben die Ermittler keine Summe genannt, die dem tschechischen Finanzamt hinterzogen wurde, doch die Intensität, mit der die Ermittler von Kriminalpolizei und Finanzbehörden vorgehen, lassen einen erheblichen Betrag vermuten. Hinzu kommt, dass die europäische Antikorruptionsbehörde OLAF keineswegs die Auffassung des Staatsanwalts Šaroch teilt. Auch die EU-Behörden setzen - soweit sie Einblick bekommen - ihre Ermittlungen fort.

Der ANO-Chef ist daher noch keineswegs aus dem Schneider. Zwar hatte Babiš auf Druck sein Firmenimperium einer Treuhandvereinigung übergeben, doch im Jahre 2008, als die EU-Fördergelder für das Erholungs- und Konferenzzentrum flossen, gehörte das »Storchennest« noch zu Agrofert. Das Firmenimperium, das Babiš aufgebaut hat, ist weit verzweigt, vor allem Familienmitglieder wie die Söhne des Premiers sitzen in Spitzenpositionen. Außer der traditionellen Landwirtschaftssparte (Düngemittel, Saatgut) gehört noch ein ausufernder Lebensmittelsektor sowie die Verlagsgruppe Mafra dazu. Ein kompliziertes System, das im Zentrum der Aufmerksamkeit der Brüsseler Ermittler steht. Deren Vorwurf lautet, Babiš habe für seine Unternehmen insgesamt Subventionen in Höhe von 17,4 Millionen Euro aus Brüssel kassiert. Ungerechtfertigt, weswegen die EU die Summe nun zurückfordert.

Bereits 2017 musste Babiš als Finanzminister zurücktreten. Der damalige Premier Bohuslav Sobotka (ČSSD) hatte ihm vorgeworfen, als Leiter der obersten Finanzaufsichtsbehörde die Ermittlungen im Fall »Storchennest« zu behindern.

Staatspräsident Miloš Zeman, der stets zum ANO-Chef gehalten hatte, zeigte sich über die jetzt erfolgte staatsanwaltliche Entscheidung zufrieden. Im Fernsehen erklärte der Präsident, er werde den amtierenden Premier auch weiter verteidigen und im Falle weiterer Ermittlungen das ihm zustehende Recht der Abolition - der Verzicht auf weitere Ermittlungen - wahrnehmen.

Die Straße dürfte eine solche Ankündigung wenig erheitern. Die Bewegung »Milion chvilek pro demokracii« (»Eine Millionen Momente für die Demokratie«) hatte im Frühjahr bereits machtvolle Demonstrationen gegen den Premier und seine neu besetzte Justizministerin organisiert. Unter anderem hatten sich 260 000 Menschen auf dem Prager Letna versammelt. Es darf davon ausgegangen werden, dass die Proteste nach dem jetzigen Entscheid des Prager Staatsanwalts wieder aufflammen werden.

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