Der Mann, der zu viel durchgemacht hat

»Ebermann beleidigt Helmut Schmidt«: Im Schauspielhaus Hamburg erzählte Thomas Ebermann aus seinem Leben

  • Fritz Tietz
  • Lesedauer: 7 Min.

Am 31. Oktober 1992, einem Samstag, erhält der ehemalige Bundestagsabgeordnete Thomas Ebermann, damals 41, einen Anruf; es ist 11.30 Uhr. »Herr Ebermann, hab’ ich Sie geweckt?« - »Ja.« - »Oh, tut mir leid, aber ich wollte mal fragen, wie’s so geht?« - » …« - »Herr Ebermann?« - »Es gab schon bessere Zeiten in Deutschland.« - »Wirkt sich das irgendwie auf Ihr Wohlbefinden aus?« - »Ach so, meint man jetzt, ob ich Finanzsorgen hab’ oder so was? Nö!« - »Stört es Sie dann, nicht mehr so im Rampenlicht zu stehen?« - »Das stört mich nicht.« - »Haben Sie Ziele für die nächste Zeit?« - »Heute nachmittag gehe ich zum FC St. Pauli. Das ist ein Ziel. Und ich hoffe, dass wenigstens ein Punkt gegen den MSV Duisburg herausspringt.« - »Soll das heißen, dass Sie über den heutigen Tag nicht hinaus planen?« - »Morgen gehe ich zur Trabrennbahn.« - »Und am Montag?« - »Also, wenn die Frage ernst gemeint ist: Ich halte relativ viele politische Vorträge, so um die fuffzich jährlich, habe in diesem Jahr in acht von zehn Ausgaben von ›Konkret‹ geschrieben.« Ob ihn vielleicht irgendetwas bedrücke, er sich Sorgen mache, wollte der Anrufer noch wissen. »Ja, ich befürchte, dass Duisburg stärker ist.«

Das vollständige Protokoll dieses Telefonats erschien wenige Wochen später in der Zeitschrift »Titanic«. Der tragische Tod der Grünen-Politikerinnen Petra Kelly und Gert Bastian hatte die Satiriker zu dem Anruf veranlasst. Sie nahmen an, dass die Verzweiflungstat (Bastian hatte Kelly erschossen, bevor er sich das Leben nahm) durch die Isolation, in die das prominente Paar nach seiner Abwahl aus dem Bundestag geraten war, ausgelöst worden sein könnte. Um ähnliche Tragödien zu verhindern, hatte »Titanic« ein »Politikerhilfswerk« initiiert, das sich fortan telefonseelsorgerlich um ausgemusterte Politprominente kümmern sollte, - »bevor es zu spät ist«. Dazu gehörte nach der vernichtenden Wahlschlappe für seine Partei 1990 und seinem Ausstieg bei den (von ihm mitgegründeten) Grünen auch Thomas Ebermann, für den das »Politikerhilfswerk« nach dem Sorgentelefonat weitere Maßnahmen empfahl: »Regelmäßig kontrollieren. Im Stadion seine Nähe suchen. Und immer mal wieder einen Zehner auf sein Pferd setzen.«

Nur 27 Jahre später konnte ich mir als sein damaliger Telefonseelsorger einen erneuten Eindruck von meinem Klienten verschaffen: dank eines Tickets für den Gesprächsabend »Ebermann beleidigt Helmut Schmidt«, so der Titel einer Veranstaltung, die bereits im Januar dieses Jahres im Hamburger Schauspielhaus stattfand und wegen der großen Nachfrage an diesem Mittwoch erneut auf dem Theaterspielplan stand. Und siehe da: Thomas Ebermann, der »stets gut gelaunte Kommunist« (»Titanic«), ist mit mittlerweile 68 und trotz seines Alters und dem schlohweißen Haar immer noch ein wahrer Lulatsch von einem Kerl, körperlich wie intellektuell. Auch als Sprecher und Entertainer beeindruckt er durch einige Quantitäten, deren Qualitäten sich einem aber nicht immer so ganz leicht erschließen, pflegt doch Ebermann seine Gedanken (mitsamt ihren Sprüngen) bevorzugt in ebenso leiser wie langer Rede auszuführen, dabei gerne auch schon mal komplexere Satzbauten auftürmend, was es mir zumindest am Mittwoch gelegentlich erschwerte, ihm immer und überallhin zu folgen.

Nein, es handelte sich bei »Ebermann beleidigt Helmut Schmidt« um keine abendfüllende Helmut-Schmidt-Beschimpfung, wie man aufgrund des Titels eigentlich erwarten musste. Dessen Wahl war vorrangig aus plakativen Gründen erfolgt. Immerhin kam das titelgebende Ereignis, dem die »Bild«-Zeitung 1983 die Schlagzeile »Schmidt in Hamburg schwer beleidigt« widmete, im Laufe des Abends kurz zur Sprache. Für ein paar weitere saftige Schmidtbeleidigungen hätte ich mir allerdings gern mehr Zeit gewünscht als die knapp 15 Minuten vom insgesamt dreistündigen Abend. Und das erst recht in Hamburg, wo die Helmut-Schmidt-Verherrlichung ja mitunter gespenstische Blüten treibt, wie jene, als man anlässlich Schmidts 100. Geburtstag einen leeren Bus der Verkehrsbetriebe in Hamburg herumfahren sah, auf dessen Fahrtzielanzeige vorne »Im Gedenken an Helmut Schmidt« geschrieben stand.

Tatsächlich entpuppte sich der gut besuchte Theaterabend als eine Art Thomas-Ebermann-Gala, die Ebermanns langjähriger Freund, der Schauspieler Michael Weber, für die vom Schauspielhaus veranstaltete Diskursreihe »FAQ-Room« konzipiert hatte. Im Nachhinein könnte man fast von einem Hochamt oder auch prämortalen Resümee sprechen (so als ob da einer mal erleben sollte, wie es ist, die eigene Trauerfeier mitzugestalten), oder, weniger despektierlich, von dem immerhin ambitionierten Versuch, die wesentlichen Lebensstationen und wichtigsten Projekte des linken Dinos Ebermann in einem Rutsch Revue passieren zu lassen: angefangen von seiner proletarischen Herkunft und Kindheit über die in früher Jugend einsetzende Politisierung, der daraus erwachsene Eintritt in den Kommunistischen Bund, die Aktivitäten in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die Wehrkraftzersetzungszeit, die Gründung der Grünen, die bundesweite Prominenz als »Spex«- und »Konkret«-Coverboy und gefeierter Talkshowgast, die Pferde nicht zu vergessen, schließlich der politische Niedergang und die daraus resultierende Ratlosigkeit und konsequente Abwendung vom realpolitischen Betrieb hin zur beruflichen Neuorientierung als zunächst Rennbahnredakteur, dann zur Kunst als Autor, Regisseur und Vortragsreisender in satirisch-kabarettistischer, literarischer und natürlich ungebrochen linksradikaler Mission.

Doch es blieb beim Versuch. Im Ergebnis des Abends zeigte sich: Der Werdegang Ebermanns ist entschieden zu lang, zu schillernd und zu vielschichtig, um ihn samt allen Facetten in einem angemessen zeitlichen Rahmen einigermaßen erschöpfend und nachvollziehbar in eine Bühnenshow gepackt zu bekommen. Der Mann hat einfach zu viel durchgemacht für einen einzigen Abend.

Zu dem, was hängenblieb, gehörte die Sache mit Helmut Schmidt. Es geschah 1983 anlässlich der Verleihung des Hamburger Ehrenbürgerrechts an den Ex-Bundeskanzler - »für seine staatsmännischen Verdienste«, wie es der seinerzeit amtierende Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi beantragt hatte. Vor der Abstimmung in der Bürgerschaft, deren Ausgang als sicher galt, hob Thomas Ebermann, damals Abgeordneter der Grün-Alternativen-Liste (GAL), auf die nur formal gestellte Frage des Bürgerschaftspräsidenten, ob noch jemand das Wort wünsche, die Hand. Wer das tat, so hatten Ebermann und seine Parteifreunde zuvor recherchiert, dem musste ein halbstündiges Rederecht gewährt werden. So kam es zu jener Ansprache, in der Ebermann »vor der gesamten Hamburger Oberschicht, die in allerfeinster Garderobe auf den Balkonen sitzt und denkt, sie wohnt jetzt einem erhabenen Schauspiel bei«, einige nicht ganz so erhabene Punkte in Schmidts Biografie ansprach. »Danach«, so umschrieb Ebermann seine nervliche Verfassung nach seiner Ansprache, »war mein T-Shirt klatschnass«.

Die geschliffenen Anmerkungen zu Schmidts offenkundigen NS-Verstrickungen, seinem Hang zum demokratieaushebelnden Krisenstab und seiner staatsverachtenden Funktion als Leitender Angestellter des Kapitals brachten Thomas Ebermann aber nicht nur ein paar Schweißflecken, sondern auch 300 Drohbriefe und -anrufe ein, in denen ihm wildfremde Leute, die »meine Kritik mit Beleidigung verwechselten«, unter anderem auch einen Pfahl in Aussicht stellten, den man ihm unangespitzt ins Gedärm zu rammen gedachte. Es gab sie eben hierzulande schon immer: die autoritäre, faschistoide Linie - und das nicht nur »innerhalb der deutschen Sozialdemokratie«, wie Ebermann anmerkte mit Verweis auf die Achse Noske - Schmidt - Sarrazin und auf erst unlängst veröffentlichte Erkenntnisse über die Auftritte Helmut Schmidts bei der »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Waffen-SS«, kurz HIAG, in den 50er Jahren.

Das Ende von »Ebermann beleidigt Helmut Schmidt« feierte das größtenteils schon etwas betagtere Publikum mit ein, zwei ordentlichen Ovationen. Ein klarer Heimsieg für Michael Weber, vor allem aber für Thomas Ebermann, der, so konnte ich beruhigt feststellen, bestens integriert und gelitten zu sein scheint im linksintellektuellen und -künstlerischen Spektrum der Hansestadt. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie ihn zum Hamburger Ehrenlinken ernennen. Oder wünscht noch jemand das Wort?

Zurzeit sind Thomas Ebermann und Thorsten Mense mit ihrem Anti-Heimatabend »Heimat - Eine Besichtigung des Grauens« auf Deutschland-Tournee:1.10. Jena, Kassablanca, 2.10. Erfurt, Frau Korte, 3.10. Göttingen, Lumière, 4.10. Berlin, about blank, 24.10. Greifswald, IKUWO. Weitere Termine unter: www.heimatfeindschaft.de

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