- Politik
- Mindestvergütung
Das Mindeste reicht nicht
Ines Wallrodt über die neue Lohnuntergrenze für Azubis
Die Einführung einer Mindestvergütung für Azubis ist überfällig. Ob aber 515 oder perspektivisch 620 Euro wirklich reichen, um eine Ausbildung als Friseur, Bäcker oder Fleischer attraktiv zu machen, ist fraglich. Denn leben kann man auch davon nicht. Zudem müssen neben der Vergütung die sonstigen Arbeitsbedingungen stimmen. Wer wie die meisten heutigen Schulabgänger bessere Alternativen hat, wird kaum bereit sein, einen brüllenden Chef oder Zehn-Stunden-Tage ohne Pause zu ertragen - oder Locken legen nur nach Feierabend üben zu können. Wie schon bei Einführung des allgemeinen Mindestlohns haben sich die Arbeitgeber mit ihrem Ruf nach »Mäßigung« durchgesetzt. Dabei ist die Mindestvergütung gerade im Interesse von kleinen und kleinsten Betrieben, denn die sind es, die zugleich am meisten über Nachwuchsmangel und hohe Abbrecherquoten klagen.
Als unterste Haltelinie ist der Azubi-Mindestlohn dennoch wichtig, denn er stabilisiert das Tarifvertragssystem. In manchen Branchen haben Gewerkschaften Tarifverträge vereinbart, die deutlich unter der neuen Mindestgrenze liegen - wie etwa im Friseurhandwerk in Brandenburg. Hier haben Azubis erstmal das Nachsehen, denn Abweichungen nach unten sind auch künftig möglich, wenn die Tarifparteien sich einig sind. Gewerkschaften wären jedoch schlecht beraten, diese Option zu nutzen. Die Mindestvergütung gibt ihnen vielmehr ein Argument an die Hand, um mehr zu fordern als das Mindeste.
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