Trickserei bei der Arbeitszeit

Marburger Bund startet Tarifverhandlungen für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

In den Universitätskliniken werden besonders komplizierte Fälle behandelt. Medizin auf höchstem Niveau ist hier idealerweise verbunden mit der Ausbildung künftiger Ärzte und anspruchsvoller Forschung. »Als Krankenhäuser sind sie jedoch nicht besonders, sondern haben die gleichen Rahmenbedingungen wie andere Kliniken«, sagt Andreas Botzlar vom Marburger Bund (MB) am Donnerstag in Berlin. Das heißt: Auch hier gibt es eine hohe Arbeitsverdichtung für die Ärztinnen und Ärzte. Entsprechende Forderungen stellt die Gewerkschaft in den Tarifverhandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die am Donnerstag in Hannover begannen. Der MB will verlässliche Dienstpläne, neue Bedingungen für Bereitschaftsdienste, eine Mindestzahl freier Wochenenden in jedem Monat. Außerdem fordert die Organisation sechs Prozent mehr Gehalt und eine Neuregelung des Zusatzurlaubs für Nachtarbeit.

»Die Arbeitgeber haben zu allen Forderungen zunächst nein gesagt«, so Botzlar, zweiter Vorsitzender der Ärztegewerkschaft, enttäuscht. Alle Themen sollten auf betrieblicher Ebene geklärt werden, sagen die Bundesländer. »Aber das hat ja eben bisher nicht geklappt«, weist der Berufspolitiker und Chirurg die Position zurück. Der Tarifvertrag (TV-Ärzte) gilt für etwa 20 000 Mediziner an bundesweit 23 Universitätskliniken. Eine Reihe dieser Einrichtungen sind in den Geltungsbereich des TV-Ärzte nicht eingeschlossen. Hier wird extra verhandelt, etwa für die Berliner Charité oder für Kliniken in Hessen, Hamburg und Mannheim.

Eine weitere wichtige Forderung des Marburger Bundes in den Tarifverhandlungen ist die »manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung - ohne pauschale und nachträgliche Kappungen der geleisteten Arbeitszeit«. Offenbar sind die Universitätskliniken gerade in diesem Bereich am wenigsten modern, im Gegensatz zu Selbstauskünften über die eigene Exzellenz. »2006 gab es Pilotprojekte, mit denen erreicht werden sollte, dass die Arbeitszeit nicht nur auf einem Zettel erfasst wird. Die blieben aber ohne Nachfrage«, berichtet Botzlar. »Wer Glück hat, dessen Arbeitszeit wird bereits elektronisch erfasst« - allerdings zählt die Uhr maximal zehn Stunden. Zudem wird bei Arbeitszeiten, die nach gesetzlichen Vorgaben eindeutig zu lang waren, im Nachhinein korrigiert. Das soll es in Zukunft nicht mehr geben. Als Blaupause sieht der MB seine Vereinbarung mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden vom Frühjahr.

Die kommunalen Kliniken sind demnach ab Juli 2019 verpflichtet, die gesamte Anwesenheitszeit der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus auf elektronischem Wege oder auf andere Art mit der gleichen Genauigkeit zu erfassen und zu dokumentieren. Dabei gilt sämtliche Anwesenheitszeit, abzüglich tatsächlich gewährter Ruhepausen, als geleistete Arbeitszeit. Dass diese Festlegung als »signifikanter Fortschritt beim Umgang mit der ärztlichen Arbeitszeit« gilt, weist darauf hin, dass Krankenhausleitungen von einer hohen Ausbeutungsbereitschaft bei Medizinern ausgehen.

Für die kommunalen Kliniken wurde außerdem ein persönliches, unverzüglich zu gewährendes Einsichtsrecht in die Arbeitszeitdokumentation erreicht, mehr Gehalt und höhere Bereitschaftsdienstentgelte. Es gibt zudem eine Höchstgrenze von vier Bereitschaftsdiensten im Monat.

Für ihre Forderungen hatten die Ärzte dieser Häuser Kampfbereitschaft demonstriert: Insgesamt ein Fünftel der 55 000 vertretenen Mediziner beteiligten sich an öffentlichen Kundgebungen. Arbeitskämpfe sind für Botzlar im Fall der Unikliniken die Ultima Ratio: »Die Erfüllung unserer Forderungen sollte auch so möglich sein.« Noch eine weitere Tarifauseinandersetzung steht für den MB im Dezember auf der Tagesordnung: Dann geht es um den Öffentlichen Gesundheitsdienst der Kommunen, der wegen chronischer Unterfinanzierung kaum Nachwuchs findet.

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