Im Bündnis gegen den angeschlagenen Platzhirsch

Bewerber von Rot-Rot-Grün gewinnt erste Runde der Landratswahl in Stendal - auch, weil eine alte Politaffäre dem CDU-Amtsinhaber anhing

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Mann mit Pfeil und Bogen hat im ersten Versuch einen Volltreffer gelandet: Patrick Puhlmann, der sich in einem Bewerbungsfilm für die Landratswahl im Altmarkkreis Stendal als Bogenschütze zeigte, hat deren erste Runde gewonnen und sich dabei klar gegen den Amtsinhaber von der CDU durchgesetzt. Der SPD-Politiker, der gemeinsamer Kandidat seiner Partei sowie von LINKE und Grünen ist, holte 46,9 Prozent; im fehlten gut 1000 Stimmen zur im ersten Wahlgang erforderlichen absoluten Mehrheit. Am 1. Dezember trifft er in der Stichwahl auf CDU-Mann Casten Wulfänger. der 32,5 Prozent der Stimmen erhielt. Der AfD-Kandidat Arno Bausemer war auf 20,6 Prozent gekommen. In Sachsen-Anhalt fällt die Entscheidung bei Personenwahlen auf kommunaler Ebene zwischen den zwei Bestplatzierten.

Der Überraschungssieger trat nach der Wahl auf die Euphoriebremse: »Es ist noch nichts entschieden«, schrieb er, »wir dürfen uns nicht auf dem ersten Erfolg ausruhen.« Bei seinen Unterstützern herrschte aber Jubel. Man habe auf die Stichwahl gehofft, einen Sieg »in der Größenordnung und mit diesem Vorsprung« aber kaum für möglich gehalten, sagte Mario Blasche, der Kreischef der LINKEN. SPD-Landeschefin Katja Pähle sprach von einem »tollen Signal«; die Grünen-Landeschefin Susann Sziborra-Seidlitz frohlockte, nun könne man »im Bündnis den Platzhirsch ablösen«.

Hoffen auf die Stichwahl in Eisleben

Die LINKE setzt bei der Wahl des neuen Bürgermeisters in Eisleben (Kreis Mansfeld-Südharz) auf die Stichwahl. In Runde eins kam ihre Kandidatin Kathrin Gantz auf 32 Prozent, lag damit aber deutlich hinter Carsten Staub (parteilos, für CDU), der 45 Prozent bekam. Ein AfD-Mann erhielt 20,1 und ein Bewerber der PARTEI 2,7 Prozent.

Gantz ist derzeit Sachgebietsleiterin in der Verwaltung der Stadt in Sachsen-Anhalt und zweite Stellvertreterin von SPD-Oberbürgermeisterin Jutta Fischer, die nicht wieder antrat. Der 51-Jährigen waren gute Chancen auf die Nachfolge zugebilligt worden – wenn auch »nur« noch als Bürgermeisterin, weil Eisleben unter die maßgebliche Schwelle von 25 000 Einwohnern gefallen ist. Ihre Kandidatur wird von SPD, Grünen und Freien Wählern unterstützt. Überraschend lag indes der ebenfalls im Rathaus beschäftigte Staub mit rund 1000 Stimmen vorn.

Der im Mansfeld beheimatete LINKE-Landeschef Stefan Gebhardt hofft nun auf die Stichwahl am 1. Dezember, ist mit dem Ergebnis aber dennoch zufrieden – nicht zuletzt, weil Gantz wie die Bewerber der Partei bei den Landratswahlen am Sonntag in der Altmark und unlängst im Saalekreis jene der AfD deutlich hinter sich ließen. hla

Die Kandidatur Puhlmanns ist binnen kurzem die zweite rot-rot-grüne Kandidatur für ein kommunales Spitzenamt in Sachsen-Anhalt. Im Oktober hatte der LINKE-Politiker Hendrik Lange mit offiziellem Rückhalt von SPD und Grünen versucht, Oberbürgermeister in Halle zu werden, war aber in der Stichwahl an Bernd Wiegand, dem Amtsinhaber, gescheitert. In der Altmark stehen die Chancen besser. Puhlmann lag 4910 Stimmen vor dem Amtsinhaber. Dass dieser nun nennenswert Rückhalt von Wählern des AfD-Bewerbers erhält, wird kaum erwartet. Größte Herausforderung für Rot-Rot-Grün ist, trotz des meist abflauenden Interesses für die Stichwahl gut zu mobilisieren.

Dass der in Wittenberg gebürtige, 36 Jahre alte und erst seit 2014 in der Altmark lebende Puhlmann den 20 Jahre älteren Amtsinhaber so klar schlug, mag in seinem Werdegang begründet sein. Der studierte Lehrer, der in einer Wohneinrichtung für erwachsene Behinderte tätig ist, sei »keiner, der seit 25 Jahre in einer Verwaltung sitzt«, sagt Blasche; er verfüge auch dank einiger Auslandsaufenthalte vielmehr über einen »breiten Erfahrungshorizont« und könne »Dinge auch mal anders denken«.

Daneben aber dürften Gründe für das magere Ergebnis des Amtsinhabers auch in einem Politikskandal zu suchen sein, der die CDU in der Altmark seit Jahren beschäftigt und den sie, was ihr viele Wähler übel nehmen, bis heute nicht umfassend aufgearbeitet hat: die Stendaler Wahlfälschungsaffäre, bei der es zunächst nur um die Wahlen zum Stadtrat und Kreistag 2014 ging. Dabei wurden in großem Stil Unterlagen für die Briefwahl manipuliert. Im Fall der Stadtratswahl führte das gar zur Wiederholung der Abstimmung. Für die Wahlfälschung wurde der CDU-Politiker Holger Gebhardt später zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte die Manipulationen gestanden, sich vor Gericht aber als Einzeltäter dargestellt. Daran gibt es verbreitet Zweifel. Ein SPD-Abgeordneter im Landtag übersetzte das Kürzel »CDU« als »Camorra von der Uchte«; in Anspielung nicht nur auf den durch Stendal fließenden Fluss - und das organisierte Verbrechen. Der CDU-Kreischef Hardy Peter Güssau musste im Sommer 2016 als Landtagspräsident zurücktreten, nachdem ihm vorgeworfen worden war, er habe die Affäre vertuschen wollen. Seit April 2017 beschäftigt diese einen Untersuchungsausschuss im Landtag.

Der Skandal warf ein neues Licht freilich auch auf die Wahl, bei der Wulfänger 2012 ins Amt kam. In der Stichwahl setzte er sich mit nur 69 Stimmen Vorsprung durch. Dabei gab es bemerkenswerte Auffälligkeiten. Während die Gesamtzahl der Stimmen für Wulfänger in Runde zwei um ein Fünftel sank, lag die Zahl der Briefwahlstimmen um rund 25 Prozent höher. Ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft läuft.

Viele Wähler und auch Mitglieder werfen der CDU fehlenden Aufklärungswillen vor. Interne Kritiker, darunter etliche Bürgermeister, traten zur Kreistagswahl im Mai mit einer eigenen Liste an und holten 17 Prozent - genau so viel, wie die CDU einbüßte. Die Landratswahl zeigte nun erneut, wie die Affäre der CDU in der Region geschadet hat. Zu Recht, sagt die politische Konkurrenz. Sebastian Striegel, grüner Landtagsabgeordneter, sprach jetzt von »Genugtuung«.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal