Die Wahrheit wohnt in Bad Wiessee

Der Aufstieg des FC Bayern ist die Geschichte von Uli Hoeneß. Weil der Fall und Abgang des Münchner Machers ebenso wirkt, steht der Klub vor einem Kulturwandel.

Man lernt nie aus, heißt es. »Kriminelle haben im Fußball nichts zu suchen.« Dieser Satz stammt von Uli Hoeneß. Aus einer Zeit, in der die Deutschen noch Rumpelfußball spielten und Christoph Daum Bundestrainer werden sollte. Wurde er nicht. Es war einer von vielen Siegen für Hoeneß in vielen persönlichen Kämpfen. Vom »verschnupften Daum« sprach der Münchner Manager im Herbst des Jahres 2000; in einem Interview mit der »Münchner Abendzeitung« hatte er zuvor den Drogenkonsum des damaligen Leverkusener Trainers überhaupt erst ins Gespräch gebracht.

»Damals konnte ich viel nachdenken und über das Leben lernen.« Auch dieser Satz stammt von Uli Hoeneß, über seine Zeit im Gefängnis. Zuletzt hat der 67-Jährige viel gesagt, vor allem über die Vergangenheit. Denn am Freitag endet eine einzigartige Ära: Nach 40 Jahren, in denen er als Manager, Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender den FC Bayern zu einem der weltgrößten Vereine gemacht hat, tritt er an diesem Freitag auf der Jahreshauptversammlung als Führungsfigur der Münchner ab.

Was genau Hoeneß gelernt hat, davon ist nichts zu lesen. Aufrichtigkeit eher nicht, Demut und Reue auch nicht. Als Krimineller hat er zuvor jahrelang Entwicklungen im Fußball bestimmt. Nach seiner Verurteilung im März 2014 wegen schwerer Steuerhinterziehung kündigte er an, nach Verbüßung der Strafe zum FC Bayern zurückkehren zu wollen. In der von 42 auf 21 Monate verkürzten Haft hat er seine Meinung nicht geändert. »Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen«, argumentierte er später. Und ordnete es als eine persönliche Niederlage gegen einen stets präsenten Gegner ein: »In diesem Spiel habe ich klar gegen die Medien verloren.«

Wie Christoph Daum ist auch Uli Hoeneß in erster Linie an sich selbst gescheitert. Abgesehen vom Gerichtsurteil, blieben gravierende Konsequenzen für ihn aber aus. In der Satzung des FC Bayern München heißt es unter Paragraf 7: »Mitglieder dürfen nur unbescholtene Personen sein.« Dass vereinsschädigendes Verhalten mit dem Ausschluss bestraft wird, galt nicht für Hoeneß. Nicht nur seine Mitstreiter, auch die Mehrheit der Vereinsmitglieder standen zu ihm. Gleiches gilt für die vielen Verfasser der Lobeshymnen rund um seinen jetzigen Rückzug. »Der Freistaat hat Uli Hoeneß zu danken«, merkte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Donnerstag an. Stellvertretend für den Weltfußball würdigte FIFA-Präsident Gianni Infantino ihn als »Pionier in verschiedener Hinsicht«. »Jeder weiß, was er für Bayern München und den deutschen Fußball gemacht hat«, lobte DFB-Direktor Oliver Bierhoff.

Es gab Zeiten, da kannte die Wertschätzung für Uli Hoeneß keine Grenzen. Der »Spiegel« sah in ihm eine Art wahren Kanzler. Die »Bild« machte ihn sogar zum Kanzlerkandidaten. Wohl auch deshalb beschreibt der Journalist Juan Moreno den gebürtigen Ulmer als einen »der interessantesten Männer Deutschlands«. Seine Biografie »Alles auf Rot« ist ein recht gelungener Versuch, sich dem Menschen und Phänomen Hoeneß anzunähern.

»Uli Hoeneß ist kein geborener Fußballer, der später einen Verein managte. Uli Hoeneß ist ein geborener Manager, der früher Fußball spielte.« So leitet Moreno sein Buch ein. Dafür sprechen allein schon die Fakten. Deutscher Meister, Pokalsieger, Europapokalsieger, Welt-und Europameister - all diese Titel haben vor, mit und nach Hoeneß auch viele andere gewonnen. Einen Verein fast aus dem Nichts zu beständigem Weltruhm zu führen, das ist eine einzigartige Geschichte. Als Hoeneß im Mai 1979 Manager in München wurde, machte der FC Bayern zwölf Millionen Mark Umsatz und hatte sieben Millionen Mark Schulden. Heute beträgt das Eigenkapital des Vereins eine halbe Milliarde Euro, der jährliche Umsatz beläuft sich auf 750 Millionen Euro. Als sein Vermächtnis bleibt auch die Arena in Fröttmaning.

Dass dieser FC Bayern ohne Hoeneß nicht vorstellbar ist, zählt mittlerweile zu den Fußballweisheiten in Deutschland. Eine gewisse Angst im Klub vor der Zeit ohne ihn ist nachvollziehbar. Einen Verein führen und managen, das können viele. Das Einzigartige an Hoeneß ist wohl kaum zu ersetzen. »Der vorsichtige Versuch, für dieses Buch alle Personen zu zählen, die wenigstens ein Mal von Uli Hoeneß öffentlich kritisiert wurden, wurde beim Erreichen der Zahl 300 eingestellt«, schreibt Juan Moreno. All seine persönlichen Kämpfe hat Hoeneß auch immer für den FC Bayern bestritten. Ihn deshalb uneitel zu nennen, ist nicht falsch. Gepaart mit »hoffnungslosem Ehrgeiz« (Hoeneß) und »überdurchschnittlichem Selbstvertrauen« (Moreno) hat er das »Mia san mia« erschaffen. Allein an diesem Selbstverständnis sind schon unzählige Gegner des Rekordmeisters gescheitert.

Es ist das Einfache, was die Menschen an Hoeneß mögen. »Es existierten Wahrheiten, Schuldige, Sieger und Verlierer«, fasst Moreno zusammen. Hoeneß selbst bescheinigt sich einen »tadellosen Ruf als Manager«, und abgesehen von seiner »Steuersache« habe er »keine großen Fehler« gemacht. Egal, ob diese eine große Steuerlüge oder viele kleine im Sport - für Uli Hoeneß gibt es nur eine Wahrheit. Und die wohnt in Bad Wiessee. Gemütlich will er es sich dort am Tegernsee jetzt aber nicht machen. Vielmehr kündigte er an, wieder öfter die »Abteilung Attacke« fahren zu wollen. Vielleicht treibt auch ihn die Angst um, die Angst um den FC Bayern, sein »Lebenswerk«. Und tatsächlich könne er sich auch vorstellen, wieder als Gast in politischen Talkshows aufzutreten. Man lernt wirklich nie aus.

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