Eskaboliert Euch!

Velten Schäfer geht im Internet auf Randgruppensafari

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Lassen Sie sich bloß nichts einreden von wegen »man muss mit der Zeit gehen und in den sozialen Medien präsent sein«. Denn sollten Sie persönlich zum Beispiel einen gewissen »Mikrobloggingdienst« so gut wie nie benutzen, zählen Sie zur twitterpräsenzmäßig zweitgrößten Bevölkerungskohorte - zu jenen sechs Prozent, die dort »seltener als einmal im Monat« aktiv ist. Überflügelt werden diese Kaum-je- hierzulande nur durch die Niemals-Twitterer, nach Zahlen für 2018 stolze 86 Prozent der Deutschlandbewohner.

Und ganz unberührt bleiben Sie ja eh nicht von dem, was »auf Twitter trendet« oder was »Twitter-Nutzer« über was auch immer in die Telefone tippen. Denn die sozialen Randgruppen der zwei Prozent Täglich- sowie zwei Prozent Mehrmals-wöchentlich-Twitterer besteht im Wesentlichen aus Politikern, Journalisten und anderen Möchtegerns, unter denen als ausgemacht gilt, dass ihre Kommentare zum Weltgeschehen als wichtiger Teil desselben aufzufassen und entsprechend prominent zu vermelden seien.

Dennoch lässt sich nicht sagen, dass gar nichts Kurzweiliges verpasse, wer sich von dieser Aufregungsmaschine fernhält. Jüngst lud etwa ein »Tweet« eines Grünen-Bundesvorstandsmitglieds zum Sinnieren darüber ein, ob ihre Anrufung der »planetaren Grenzen« des Daseins auf eine Überdosis Science-Fiction hinweist oder doch eher als Argument für eine Veganismuspflicht für weiße alte Männer dienen soll. Und wer nicht »auf Twitter« ist, konnte sich bis zum Erscheinen dieser Kolumne auch nicht an dem Ratespiel beteiligen, was es mit dem Hashtag »Eskabolation« auf sich hat.

Dieselbe hat offenkundig ein »Team«, eine »Fanseite« - und auch eine »Hymne der Eskabolation« wurde schon ins Spiel gebracht: ein Vorschlag, den Twitter-Nutzer mit der Parole »Totale Eskabolation« feiern, und das nicht mal mit Zwinkersmiley! Eher schwierig zu ermitteln ist indes der Hintersinn, den die Wortschöpfung als cooles Twitterschlagwort haben muss. Aus dem Kontext ergibt sich zwar, dass der Wortbestandteil »Eska« mit @EskenSaskia in Verbindung steht, dem Twitternamen jener Politikerin, die im nun beginnenden SPD-Mitgliederentscheid die Parteispitze erobern will - und dass das »bo« in der Wortmitte auf ihren Tandemkollegen Norbert Walter-Borjans anspielen dürfte, Entschuldigung, auf @NowaboFM.

Was aber ist genau der Witz, also mal rein sprachmäßig gesehen? Irgendwas mit »Eskalation«? Wovon? »Elaboration«, »Kollaboration«, »Koalition«? Ist das abgeleitete Verb transitiv oder intransitiv? Das sind so Fragen, die wohl offen bleiben, weil im Vergleich zu derjenigen Randgruppe, die der ominösen Pointe im Leben so nahesteht, dass sie den Humor versteht, selbst jene vier Prozent twitteraktiver Personen im Lande eine veritable Massenbewegung darstellen: nämlich die Freundinnen und Freunde sozialdemokratischer Politik in der SPD.

Das ist nun ein dröges Thema, eines, dass gewiss nicht »trendet«. Das qua Parteibuch hierzu aufgerufene Publikum freilich sei nichtsdestotrotz mit Nachdruck ermuntert, die Verhältnisse, die Partei oder sich selbst möglichst schlagkräftig zu eskabolieren - und nicht nur jenen Mikrobloggingdienst.

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