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Mit Hund und Ziege

Annick Cojean befragte prominente Frauen

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.

Brigitte Bardot kehrte dem Kino von heute auf morgen den Rücken. Die Frau, die von sich selbst sagt, die wohl berühmteste Französin zu sein, war damals erst 38 Jahre alt und bereits ein so großer Star, dass sie nicht auf die Straße gehen konnte, ohne einen Pulk von Reportern hinter sich zu wissen. Zum entscheidenden Wendepunkt in ihrer Biografie kam es während der Filmaufnahmen für einen Mittelalterstreifen.

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Annick Cojean: Was uns stark macht. Aufbau, 299 S., geb., 22 €.

Zur Besetzung gehörte eine Ziege, die es der Schauspielerin so angetan hatte, dass sie jede Drehpause mit ihr verbrachte. Als sie eines Tages von dem Plan erfuhr, das Tier in Kürze zu schlachten, war sie entsetzt. Kurz entschlossen handelte sie. Sie kaufte die Ziege und nahm sie mit in das Bett ihres Vier-Sterne-Hotels, wo schon das Hündchen schlief. An dem Tag, so die Bardot, sei bei ihr der Groschen gefallen: »Ich hatte sie gerettet, aber nur sie. Es gab noch so viele andere, die Schutz brauchten. Also sagte ich dem Filmgeschäft adieu.«

Das zweite Leben der Prominenten war fortan eines als Tierschützerin, die vor nichts und niemandem zurückschreckte, auch Beschimpfungen und Bedrohungen tapfer ertrug, wenn es darum ging, bedrohte Kreaturen zu retten. Immerhin erreichte sie, dass der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing den Import von Robbenfell verbot und Jahrzehnte später alle Robbenprodukte in Europa verboten wurden.

»Das hat sich gelohnt, oder?«, fragt die Bardot im Interview mit der französischen Le-Monde-Journalistin Annick Cojean selbstbewusst. Freimütig gibt sie auch darüber Auskunft, warum sie mit der Rechtsaußenpartei von Marine Le Pen sympathisierte und welche Männer sie liebte.

Nicht oft kommt man als Leserin in den Genuss derart spannend aufbereiteter Lebensgeschichten. Und das liegt nur zum Teil daran, dass die Gesprächspartnerinnen zumeist prominent sind: Juliette Gréco, Patti Smith, Marianne Faithfull, Joan Baez, Cecilia Bartoli, Claudia Cardinale, Hélène Grimaud oder Vanessa Redgrave sind darunter.

Prominenz - das lesen, hören oder sehen wir täglich - ist ja noch kein Garant für eine kluge Unterhaltung mit fesselndem Inhalt. Dass es sich in diesem Fall aber so verhält, ist zweifellos vor allem Annick Cojean zu verdanken. Sie ist exzellent vorbereitet, hört gut zu, hat keine Angst, unbequeme Fragen zu stellen, und wird dennoch nie indiskret. Sie nimmt sich zurück, begegnet jeder Meinung mit Respekt. Und das Allerwichtigste: Sie verfolgt einen Plan.

»Ich wäre nicht die, die ich heute bin, wenn …« - diesen Satz stellt sie jedem Interview voran und bittet ihr Gegenüber um seine Vollendung. So werden die Weichen gestellt und Belangloses von vornherein ausgeschlossen.

Annick Cojean führt seit vielen Jahren diese Interviews für die französische linksliberale Tageszeitung »Le Monde«. Sie tut es meisterhaft, und ihre Texte haben es verdient, nicht im rasanten Fluss des Tageszeitungsgeschäfts unterzugehen. Für das nächste Interviewbuch wäre es wünschenswert, das Alter der Frauen und ihre Lebenssituation in der Kurzbiografie zu erwähnen. So könnte man sie besser in die Zeitgeschichte einordnen.

Wieso ist jede dieser Frauen so geworden, wie sie ist? Die Antworten könnten unterschiedlicher nicht ausfallen. Weil sie eine so tolle Stimme hat, sagt Patti Smith. Weil sie so oft im Leben ihren Aufenthaltsort änderte, die französische Rabbinern Delphine Horvilleur; weil sie so sehr geliebt wurde, sagt die Gréco. Weil sie von einer feministischen Mutter erzogen worden sei, meint Nicole Kidman.

Und Amélie Nothomb führt ihren Erfolg als Schriftstellerin gar auf ihre Schlaflosigkeit zurück, an der sie seit ihrer Geburt leidet. Sie steht jeden Morgen um vier Uhr auf, kippt einen halben Liter Tee hinunter und macht sich mit einem Schulheft auf den Knien ans Schreiben. Cojean beschreibt sie als etwas eigentümliche Frau, die jedes Jahr ein neues Werk auf den Markt bringt, und einigermaßen gleichmütig von sexuellen Übergriffen, Drogenerfahrungen und einem vom Verlag abgelehnten Buchtitel berichtet.

Auf dem Foto sehen wir eine zierliche Frau mit altertümlicher, eigenwilliger Kleidung. Nothomb glaubt daran, mit ihrem literarischen Oeuvre ein Gesamtwerk zu schaffen, welches das Rätsel ihres Lebens auflöst. Am Ende des Interviews sagt sie: »Lassen Sie mir doch meinen Größenwahn!« Aber gern, möchte man als Leserin ausrufen! Wer will schon von langweiligen Menschen lesen?

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