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Ein Schnelllehrgang in Sachen Revolution

Klaus Gietinger erinnert an die vergessene Volksmarinedivision der deutschen Revolution von 1918/19

  • Jörn Schütrumpf
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Volksmarinedivision, ein Kind der Revolution von 1918, teilt das Schicksal des ermordeten Karl Liebknecht: Sie ist heute mindestens ebenso vergessen wie er. Alles und jedes, was der SED-Führung als Legitimation für ein - von ihr durchgängig befolgtes - Prinzip dienlich schien: »Die Macht geben wir nie wieder her«, gilt seit der revolutionären Beendigung dieser Überhebung als »kontaminiert«. Das betrifft natürlich nicht nur Karl Liebknecht und die Volksmarinedivision.

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Klaus Gietinger: Blaue Jungs mit roten Fahnen. Die Volksmarinedivision 1918. Unrast, 304 S., br., 18 €.

Eine Ausnahme bildet lediglich Rosa Luxemburg, nicht etwa weil sie in der DDR meist ein wenig im Schatten Karl Liebknechts gehalten wurde - das trifft auch auf die Volksmarinedivision zu -, sondern weil 1988 einige Aktivisten bei der revolutionären Polin eine ihrer beiden Maximen entliehen: Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. (Die andere Maxime lautete: Keine Gewalt.)

An die basisdemokratisch organisierte Volksmarinedivision, nach der die alles andere als basisdemokratisch organisierte DDR-Marine - »Volksmarine« - benannt war, hat sich nun der gelernte Soziologe und erfolgreiche Filmregisseur Klaus Gietinger gesetzt (»Daheim sterben die Leut«, 1984, außerdem »Tatorte« und andere Serien sowie ein Dokumentarfilm über die Ermordung von Benno Ohnesorg, 2017).

Der vielseitge Publizist ist Autor des Bestsellers »Eine Leiche im Landwehrkanal - die Ermordung Rosa Luxemburgs«, außerdem - neben vielem anderen - von Monografien über Waldemar Papst, der die Ermordung befahl, sowie über die Novemberrevolution. Was Gietinger zur Volksmarinedivision vorlegt, bestimmt künftig den Forschungsstand.

Hilfreich ist, dass Gietinger der Vorgeschichte den ihr gebührenden Raum einräumt. Dass es ausgerechnet in des Kaisers Lieblingskind, der Marine, gärte, zeigte sich schon im Jahr vor der Revolution, im August 1917, während des Wilhelmshavener Matrosenaufstandes, den Max Reichpietsch und Albin Köbis mit ihrer Hinrichtung bezahlten. Ebenso minutiös zeichnet Gietinger den Kieler Matrosenaufstand vom November 1918 nach, den Anfang des - noch Tage zuvor für unmöglich gehaltenen - Endes der Monarchie(n) auf deutschem Boden.

Gietingers Buch setzt nicht voraussetzungslos an. Es werden die beiden Arbeiten, die in der DDR zum Thema Volksmarinedivision erschienen, nicht - wie oft üblich - ohne Nennung »ausgeschrieben«, sondern ausführlich zitiert: Kurt Wrobel »Die Volksmarinedivision« (1957) sowie Robert Rosentreter »Blaujacken im Novembersturm« (1988). Und nicht nur das, Gietinger begründet sein Vorgehen mit einem Diktum: »Es ist grundsätzlich falsch, historische Werke, weil sie aus der DDR stammen, zu verdammen.« Eine solche Aussage suchte man in der Literatur bisher vergebens.

Die revolutionär gestimmten Marineflieger um den Obermaat Paul Wieczorek vom Flugplatz Johannisthal/Adlershof (heute Berlin) wurden zum Nukleus der Volksmarinedivision, zu dem von den Küsten schnell Hunderte weitere Matrosen stießen. Ihre Aufgabe war es, in Berlin die Ordnung aufrechtzuerhalten, und zwar als Unterstützung für den neuen Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn.

Nach der Ermordung von Paul Wieczorek gelang es einem Geheimdienstmann vom Nachrichtendienst des kaiserlichen Auswärtigen Amtes, einem wohlhabenden, in den Niederlanden residierenden Hermann Graf Wolff-Metternich, sich an die Spitze der Volksmarinedivision zu bringen. Kaum etwas zeigt deutlicher die politische Unerfahrenheit, um nicht zu sagen: Naivität, mit der selbst Aktivisten der Revolution - und darum handelte es sich ohne Zweifel bei den Angehörigen der Volksmarinedivision - zu Werke gingen.

Im ersten, gescheiterten konterrevolutionären Putsch vom 6. Dezember 1918 gelang es Hermann Graf Wolff-Metternich beinahe, die Volksmarinedivision aufseiten der Putschisten einzusetzen. Die Darstellung dieses Reaktionärs und seines Scheiterns während des Putsches vom 6. Dezember 1918 gehört zu den Höhepunkten des neuen Buches von Gietinger.

Der Schnelllehrgang in Sachen Revolution, den die Volksmarinedivision nach diesem Putsch absolvierte, machte sie umgehend für die Führung der SPD um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann zur gefährlichsten prorevolutionären Gegenmacht. Es ist ein wirkliches Lehrstück an »sozialdemokratischer Staatskunst« - von Gietinger souverän erzählt -, wie die Volksmarinedivision danach systematisch aufgerieben und zerschlagen worden ist. Den Schlusspunkt setzte am 13. März 1919 in der Französischen Straße in Berlin eine Falle, in der 30 Angehörige der Volksmarinedivision füsiliert wurden.

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