Neonazi-Angriffe in Neukölln reißen nicht ab

Auf die Schaufenster eines Burger-Ladens und eines Spätis wurden Hakenkreuze und SS-Runen gesprüht / Erneut Familie von Linkspolitiker Ferat Kocak betroffen

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Hakenkreuze und SS-Runen auf den Schaufenstern des Burgerladens und des benachbarten Spätis in Neukölln wurden schon entfernt, lediglich zwei Autos mit zerstochenen Reifen zeugen noch von dem Neonazi-Angriff. In der Nacht zu Dienstag hatten Unbekannte die Fenster mit den Nazisymbolen beschmiert und sich Zugang zum Haus in der Wildenbruchstraße 5 beschafft, wo sie im Treppenhaus ebenfalls Hakenkreuze und SS-Runen sprühten. Zudem wurden drei Autos, die vor den Läden parkten, die Reifen zerstochen.

Die rechtsextremen Angriffe in Neukölln reißen nicht ab. Erneut traf es die Familie des Linkspolitikers Ferat Kocak, auf dessen Auto Neonazis bereits 2018 einen Brandanschlag verübt hatten, den er und seine Eltern nur mit Glück überlebten (»nd« berichtete). Kocak, dessen Onkel und Tante den Classic Burger in der Wildenbruchstraße betreiben, glaubt zwar nicht an einen gezielten Angriff auf seine Familie, an einen Zufall aber auch nicht: »Hier werden gezielt Migranten angegriffen«, ist er überzeugt. »Das sind nicht nur Schmierereien, das ist ein Einschüchterungsversuch. Um zu zeigen, ihr seid hier nicht willkommen«, sagt Kocak zu »nd«.

Der Burgerladen ist am Mittwochmittag gut besucht und Kocaks Onkel Kenan Yilmaz hat alle Hände voll zu tun. Seit drei Jahren betreibt er den Laden unweit der Sonnenallee, es ist das erste mal, dass er angegriffen wird. Am Dienstagmorgen hatte er das Hakenkreuz auf dem Fenster entdeckt und direkt Anzeige erstattet. Einschüchtern lassen will er sich nicht. »Ich habe keine Angst, so etwas passiert halt«, sagt er achselzuckend und brät weiter seine Burger. Ihn verwundert jedoch die Dreistigkeit der Neonazis, schließlich sei dies eine belebte Straße und die Polizeiwache keine 100 Meter weit entfernt. »Die haben keine Angst«, stellt er mit Blick auf die Täter fest.

»Ich glaube, das ist wegen der Dokus von Spiegel-TV«, sagt der junge Mann, der im Späti nebenan arbeitet, auf dessen Scheiben SS-Runen gesprüht wurden. Schließlich sei das Haus mehrfach in Dokumentationen über organisierte Kriminalität in arabischstämmigen Strukturen, sogenannte Clan-Kriminalität, mitsamt Adresse gezeigt worden.

Eine ähnliche Vermutung äußert auch Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). »Wir sind skeptisch, ob das wirklich Teil der rechtsextremen Anschlagserie in Neukölln ist«, sagt Müller zu »nd«. Seit Mai 2016 kam es laut Zählung der MBR in dem Bezirk zu insgesamt 55 Angriffen von Neonazis. Neben Bedrohungen durch Graffitis, Steinwürfe und andere Sachbeschädigungen gab es 16 Brandanschläge, 14 auf PKWs. Hinzu kommt der Diebstahl von 16 Stolpersteinen.

Der aktuelle Fall in der Wildenbruchstraße unterscheidet sich laut Müller vor allem hinsichtlich des Vorgehens der Täter. So hätten sich die Angriffe bisher vor allem gezielt gegen antifaschistisch engagierte Personen gerichtet. Stattdessen sieht er einen möglichen Zusammenhang mit der Berichterstattung über die sogenannte Clankriminalität, die Rechtsextreme als Anlass für ihre Angriffe nehmen.

So sei Ende Oktober auf das Schaufenster der Konditorei Damaskus in der Sonnenallee ebenfalls ein Hakenkreuz gesprüht sowie ein Fenster zertrümmert worden. Das Haus, in dem sich das Geschäft befindet, sei, ebenso wie das Haus in der Wildenbruchstraße, in einer Dokumentation über sogenannte Clan-Kriminalität aufgetaucht. Generell verzeichnet der MBR eine hohe Nazi-Aktivität im Kiez: Erst Anfang November wurde das Lokal der Berlin Migrant Strikers angegriffen, ebenso wie vor einigen Jahren das linke Lokal k-fetisch - beide befinden sich ebenfalls in der Wildenbruchstraße.

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) zeigte sich auf Facebook entsetzt über die Tat und sprach von einem Zusammenhang mit der rechten Terrorserie. Für die Betroffenen spiele die Frage, ob der Angriff von derselben Tätergruppe verübt wurde oder nicht, letztlich jedoch keine Rolle, betont Matthias Müller von der MBR. »Für sie zählt nur die Bedrohung und Einschüchterung.«

Auch die Senatsinnenverwaltung verurteilte gegenüber »nd« die Hakenkreuzschmierereien in Neukölln als »abstoßend und durch nichts zu rechtfertigen«. Die Taten in Neukölln zielten darauf ab, die Betroffenen einzuschüchtern und seelisch zu schädigen, so Sprecher Martin Pallgen. Ende des Jahres erwarte man von der eigens dafür gegründeten Ermittlungsgruppe »Fokus« einen Bericht zu den rechtsextremistischen Anschlägen der letzten Jahre.

Im aktuellen Fall liege es bei der Polizei, entsprechend zu ermitteln. Die wollte sich am Mittwoch nicht näher dazu äußern. »Der Staatsschutz ermittelt«, hieß es.

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