Algeriens starker Mann ist tot

Oberbefehlshaber der Streitkräfte Ahmed Gaid Salah erleidet Herzinfarkt

  • Claudia Altmann, Algier
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit März dieses Jahres galt Ahmed Gaid Salah als der eigentliche Entscheider Algeriens. Am Donnerstag ist der Oberbefehlshaber der Armee des größten nordafrikanischen Landes an Herzstillstand gestorben. Die Anfang des Jahres ausgebrochene politische Krise hatte den 79-Jährigen in die vorderste Reihe der Ereignisse um das Schicksal des Landes katapultiert. Algerien wurde durch den Plan einer fünften Amtszeit des damaligen schwer kranken Präsidenten Bouteflika und die dadurch ausgelösten friedlichen Massenproteste erschüttert. Dies hatte das Eingreifen der Armee, die seit der Unabhängigkeit Algeriens 1962 als eigentliche Macht im Staate gilt, auf den Plan gerufen.

Ahmed Gaid Salah wurde damit zu ihrem Gesicht. Ende März vereitelte er die Pläne des Bouteflika-Clans und des Chefs des militärischen Geheimdienstes, an der Verfassung vorbei die Macht an sich zu reißen. Denn dies hätte auch das Ende seiner eigenen Karriere bedeutet. 15 Jahre lang war Gaid Salah Chef des Generalstabes und sechs Jahre stellvertretender Verteidigungsminister. Mit 17 Jahren hatte er sich der Nationalen Befreiungsarmee angeschlossen und gegen die Kolonialmacht Frankreich gekämpft. Nach der Unabhängigkeit schlug er eine militärische Laufbahn ein und wurde unter anderem an der sowjetischen Militärakademie ausgebildet. In den 1990er Jahren stand er als Chef der Landstreitkräfte an vorderster Front im Kampf gegen islamistische Terroristen. Obwohl er seinen Aufstieg an die Spitze der 520 000 Mann starken und hochmodern ausgerüsteten Armee seinem engen Freund Abdelaziz Bouteflika verdankte, drängte er diesen am 2. April zum Rücktritt. Damit endete dessen 20-jährige Amtszeit unter dem Jubel der Bevölkerung.

Während Bouteflikas Herrschaft wurde das Land zur Beute gieriger Oligarchen, die Gaid Salah in seinen allwöchentlichen Reden ans Volk als »Gangsterbanden« bezeichnete. Den Bruder des Präsidenten, zwei Geheimdienstchefs und eben jene Oligarchen ließ er in den vergangenen Monaten verhaften - sie wurden inzwischen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Allerdings ging seine Rechnung nicht auf, damit den Volkszorn zu beruhigen. Die anhaltende Protestbewegung fordert einen radikalen Bruch mit dem System, dem sie auch Gaid Salah zurechnet. Bei den wöchentlichen Demonstrationen richtete sich die Wut mit Sprechchören gegen seine Person. Indes genießt die Armee selbst als stabilste Institution und wegen ihrer historischen Bedeutung beim Kampf um die Unabhängigkeit bei der Bevölkerung ungebrochenes Ansehen. Kritiker Gaid Salahs haben ihm daher vorgeworfen, dem Ansehen der Armee Schaden zugefügt zu haben. Die von ihm durchgedrückten Präsidentenwahlen am 12. Dezember, bei denen sein Vertrauter Abdelmadjid Tebboune als Sieger hervorging, wurden von der Mehrheit boykottiert. So erklang auch bei den Demonstrationen am vergangenen Freitag wieder der Ruf »Wir wollen keinen militärischen, sondern einen zivilen Staat«.

Vor fünf Tagen erst hatte Gaid Salah bei der Zeremonie zur Amtseinführung des neuen Staatspräsidenten aus dessen Händen den höchsten algerischen Orden in Empfang genommen. Aber als Krönung eines vom Schicksal bestimmten ehrenvollen Abgangs sieht die Mehrheit der Bevölkerung dies eher nicht. Staatschef Tebboune hat unmittelbar nach der Nachricht vom Tod Gaid Salahs den 74-jährigen Chef der Landstreitkräfte Said Chengriha zu dessen einstweiligem Nachfolger ernannt und eine Staatstrauer von drei Tagen - für die Armee von sieben Tagen - verkündet. Danach wird sich zeigen, wie sich die Generäle auf die neue Situation einstellen. Beobachter schließen nicht aus, dass dies auch eine Chance für einen Neuanfang - nicht zuletzt auch im Interesse der Armee - bieten könnte.

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