• Berlin
  • Finanzsenator Matthias Kollatz

»Wir kommen aus eigener Kraft aus der Schuldenmisere«

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz über Konjuktureintrübungen und Altlasten

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Wirtschaft in Berlin wächst zwar überdurchschnittlich, aber die fetten Jahre neigen sich dem Ende zu, heißt es. Mit welchem Jahresabschluss rechnen Sie?

Die Finanzämter zahlen bis zum letzten Tag im Jahr Geld aus und nehmen Geld ein. Aber wenn unsere Einschätzungen zutreffen, dann werden wir einen Jahresüberschuss von 1,7 Milliarden Euro erzielen. Das meiste Geld davon haben wir allerdings bereits als Rücklagen in den vor Kurzem verabschiedeten Doppelhaushalt 2020/2021 eingespeist. Dadurch können wir ehrgeizige Haushaltsziele verfolgen.

Berlin hat weiter einen hohen Schuldenstand von 58 Milliarden Euro. In welcher Höhe werden Sie die Schulden tilgen?

Der Haushalt 2019 wird strukturell ausgeglichen sein, die Konsolidierungsvereinbarungen werden wir erfüllen. Aber wir werden nicht mehr einen hohen dreistelligen Millionenbetrag tilgen, sondern eher in der Größenordnung von hundert Millionen Euro.

Nach der letzten Steuerschätzung nimmt Berlin weniger Geld ein. Wie viel Mindereinnahmen hat das Land Berlin zu verkraften? Die Rede war von rund 340 Millionen Euro in den kommenden beiden Jahren?

Wir rechnen zwar anders, weil wir aktuelle Gesetzgebungsmaßnahmen des Bundes einberechnen, kommen aber zu ähnlichen Zahlen. Im Jahr 2020 fehlen uns 140 Millionen Euro, 2021 sogar 210 Millionen Euro. Das haben wir bei den geplanten Ausgaben bereits zurückgenommen. Damit ist klar: Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Dennoch wachsen unsere Haushalte weiter. Statt um eine Milliarde Euro 2020 eben um 850 Millionen Euro und statt um 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2021 eben »nur« um eine Milliarde Euro. Berlin vollzieht nach wie vor einen deutlichen Aufwärtstrend von rund zwei Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, während andere Bundesländer sich mit Nullwachstum oder sogar negativen Zahlen rumschlagen.

Die Niedrigzinsphase spielt Ihnen bei der Konsolidierung also weiter in die Hände?

Beim Thema Konsolidieren helfen uns die niedrigen Zinsen sehr. Als ich 2014 anfing, mussten wir pro Jahr noch zwei Milliarden Euro Zinsausgaben bedienen, jetzt sind wir bei 1,2 Milliarden Euro. Wenn es noch weiter runtergeht, wird es einen Spielraum von 30 bis 50 Millionen Euro pro Jahr geben. Zuletzt lag der Berliner Schuldenstand bei 39 Prozent des Bruttoinlandprodukts. In drei Jahren werden wir bei 30 Prozent liegen. Dann wird klar sein: Wir können das steuern und aus eigener Kraft aus der Schuldenmisere kommen.

Ab dem kommenden Jahr gilt die Schuldenbremse. Welche konkreten Auswirkungen hat sie für Berlin?

Mehr Auswirkungen hat die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, weil dort viele Summen anders fließen, aber wir bekommen dort einen sanften Übergang hin. Durch die Schuldenbremse wird die Grundregel geschaffen, dass die Länderhaushalte ausgeglichen sein müssen. Das heißt: keine neuen Schulden. Wenn es eine wirtschaftliche Abschwungphase geben sollte, dürfen wir uns aber verschulden, wenn wir uns im Gegenzug verpflichten, das in der darauffolgenden Aufschwungphase wieder zu entschulden.

Berlin regelt die Schuldenbremse über die Landeshaushaltsordnung und nicht wie andere Länder über die Verfassung. Ihnen wird der Vorwurf gemacht, dass Sie beispielsweise wie bei der U-Bahn-Wagen-Beschaffung über die Landesunternehmen Schattenhaushalte aufbauen. Was sagen Sie dazu?

Das ist weder Schatten noch Haushalt. Es stimmt, wir finanzieren bestimmte Aufgaben bewusst über landeseigene Unternehmen - dazu gehören auch die Fahrzeugpools der BVG und später auch der S-Bahn. Wie auch im Wohnungsbau und beim Flughafen ist es jedoch richtig, dass wir das über Kredite machen. Das sind Unternehmenstätigkeiten. Ich glaube persönlich und politisch, dass es sehr richtig ist, diese Möglichkeiten stärker zu nutzen, als es in der Vergangenheit geschehen ist.

Sie sprechen die Wohnungspolitik an. Die Wirtschaft behauptet, dass der Senat mit dem Mietendeckel auf rund zwei Milliarden Euro Einnahmen verzichten würde in den nächsten fünf Jahren. Ist das realistisch?

Ich würde gerne mal eine seriöse Rechnung dazu sehen. So kann ich das nicht bestätigen. Nicht völlig falsch ist, dass Vermieter bei geringeren Einnahmen weniger Steuern zahlen. Aber was machen die Mieter, die weniger Miete zahlen, mit dem, was sie weniger zahlen?

Konsumieren vielleicht?

Es fehlt eine - Achtung: Volkswirtschaftsslang - vernünftige Multiplikatorenrechnung. Die würde das zeigen. Natürlich können Verbände kritisch auf Dinge hinweisen. Aber schauen Sie auf die Grundlinien: Die Wirtschaftsverbände hätten, wenn sie ehrlich sind, vor zwölf Jahren nicht gedacht, dass Berlin einen solchen Aufwärtstrend erlebt und so robust wächst. Außerdem bieten Investoren im Wohnungsbereich derzeit für alles, was in Berlin auf den Markt kommt.

Der Senat will ebenfalls alles Kaufen was »nicht niet- und nagelfest« ist. Tragen Sie das als Finanzverantwortlicher mit?

Man braucht eine Strategie. Falsch ist, einzukaufen und dabei zusätzliche Haushaltsmittel einzusetzen wie bei der Karl-Marx-Allee. Das ist ein Irrweg. Richtig ist, ehemalige Sozialwohnungsquartiere wie in Spandau bei der Gewobag oder jüngst bei der Degewo zurückzukaufen. Dort wohnen die Leute bereits jetzt preiswert zu Miete und können das auch in Zukunft tun - ohne Zuschusszahlungen aus dem Haushalt. Wir werden weitere selektive Ankäufe sehen.

Wie erklären Sie den Wählern, dass die Schuldscheindarlehen für die Kredite der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften von eben jenen Investmentgesellschaften verbürgt werden, die quasi als Goldgräber den Immobilienmarkt in Berlin erst befeuern?

Das sollte uns vom Ankauf nicht abhalten. Es gibt drei Finanzierungsquellen: Das eine sind die Finanzquellen unserer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, das zweite sind Kredite, die sie bei Banken aufnehmen und ja, es gibt den dritten Weg der Schuldscheine, den die Gewobag nutzt. Solche Schuldscheine sind grundsätzlich handelbar. Da habe ich keine Bedenken. Perspektivisch wollen wir auch einen vierten Weg eröffnen: Die Unternehmen sollen Kredite bei Förderbanken wie der Europäischen Investitionsbank aufnehmen können. Dazu laufen Gespräche.

Die Finanzierung der Ankäufe von Wohnungen wurde zuletzt auch im Zusammenhang mit der »Diese eG« kritisiert. Wie bewerten Sie diesen Fall im Nachhinein?

Wir sind noch in der Umsetzungsphase. Das Land hat sein Mögliches getan. Zuschussmittel aus dem SIWANA-Topf gibt es aber nur für Objekte, bei denen die Vorkaufsrechte gezogen wurden, nachdem das im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses beschlossen worden war. Die »Diese eG« ist jetzt dabei, die entsprechenden Auflagen, die es bei solchen Förderbescheiden üblicherweise gibt, zu erfüllen. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, ob und wie das gelingt.

Es soll doch Zusagen des Landes an die »Diese eG« gegeben haben?

Die Vorwürfe erstaunen mich. Klar ist: Es gibt keinen Anspruch auf Fördermittel. Den Anspruch hat man erst, wenn der Antrag bewilligt ist. Außerdem gelten in Berlin für alle, auch alle Bezirke, haushaltsrechtliche Grundsätze. Man kann nicht eine Verpflichtung eingehen, und sagen, bitte helft mir, sondern es muss umgekehrt sein.

Mit dem neuen Haushalt kommt auch der Ankaufsfonds für Grundstücke, den Sie einst ins Spiel gebracht haben. Können Sie so den nötigen Wohnungsbau, auch durch Genossenschaften, voranbringen?

Wir brauchen den Ankaufsfonds unter anderem für Grundstücke, um die 60 benötigten Schulen zu bauen. Auch der Grundstückeinkaufsfonds soll eine Kreditmöglichkeit bekommen - auch das ist weder Schatten noch Haushalt. Sondern auch hier ist es richtig, jetzt Grundstücke zu erwerben. Und nicht in fünf Jahren, wenn sie teurer sind.

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