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Auf Nachwanderschaft

Zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane gibt es eine »Nachlese im Ruppiner Land«

  • Elke Lang
  • Lesedauer: 5 Min.

Man müsse der Mark Brandenburg mit Natur- und Landschaftssinn begegnen sowie ihr Kenntnis der Geschichte und Liebe entgegenbringen, wenn man sie bereisen wolle, hat Theodor Fontane geraten. Am 30. Dezember vor 200 Jahren wurde der Schriftsteller in Neuruppin geboren.

Seinem Rat sind viele Nachwanderer gefolgt, darunter auch Till Sailer, dessen Buch den Titel trägt: »Wegspur Fontane. Eine Nachlese im Ruppiner Land«. Den Autor hat dabei aber nicht nur der Jubilar interessiert, sondern er hat auch nach anderen Nachwanderern Ausschau gehalten, so dass eine Art Langzeitbeobachtung über Jahrzehnte hinweg entstanden ist. Sailer fragt sich etwa: Wie hat sich der Landstrich entwickelt, in dem man laut Fontane, der ab 1859 auf seine Wanderungen ging, keinen Anspruch auf Komfort stellen sollte? Oder hat er sich nur verändert?

Es kommen nicht nur Autoren aus unterschiedlichsten Berufen zu Wort, sondern - infolge der Spaltung des Landes - auch solche unterschiedlicher Sozialisation. Der Schriftsteller Franz Fühmann und der Kunstwissenschaftler Lothar Lang, beide aus der DDR, sowie der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Joachim Seyppel aus der BRD zum Beispiel waren Ende der 1960er Jahre unterwegs, während der Politikwissenschaftler Christian Graf von Krockow und der Verleger und Schriftsteller Georg Lentz erst nach 1989 vom Westen in den Osten schauten. Es handelt sich also bei »Wegspur Fontane« um keinen Touristenführer.

»Was Lang und Fühmann während der DDR-Ära und Graf von Krockow und andere am Ende des 20. Jahrhunderts beobachteten, wollte ich im vereinten bürgerlich-demokratischen Deutschland mit den Augen des neuen Jahrtausends fortschreiben«, teilt der Autor in seinem Vorwort mit.

Till Sailer ist zwar auch an den klassischen touristischen Anziehungspunkten wie Rheinsberg, Neuruppin, Ruppiner Schweiz und Stechlin zu finden und erfreut sich der historischen Architektur, städtebaulicher Leistungen und der Natur. Aber es geht ihm in erster Linie um ein Gesellschaftsbild im Wandel der Zeit. Er sieht sich auch dort um, wohin sich schwerlich ein Tourist verirrt, wo aber auch Fontane und Lang waren: in Zietenhorst im Wustrauer Luch, von wo ein Plattenweg über Felder ins Nichts führt, und im Herrenhaus Radensleben, das jetzt als Altersheim genutzt wird.

Zu seinen Zielen gehörte auch das Kernkraftwerk Rheinsberg, von dem Fontane nicht einmal träumen konnte, auf das aber Lothar Lang kurz nach der Inbetriebnahme neugierig war und dessen Rückbau noch Jahrzehnte dauern kann. In Wustrau, dem einstigen Wohnsitz des preußischen Reitergenerals Hans Joachim von Zieten, des »alten Zieten«, besuchte Lothar Lang »das einstmals schöne und durchaus charakteristische Haus«, an dem nur der Verwendungszweck als Oberschule gut sei. Franz Fühmann ging der Geschichte des Gutshauses nach, dessen Fassade er »mit schlecht geschriebenen Losungen bepflastert« vorfand und das schon die Zentrale Führungsdienststelle der SS sowie - nach dem Kriegsende - Flüchtlinge beherbergt hatte. Nach der Nutzung als Schule wurde es, gut restauriert, Fortbildungsstätte der DDR-Justiz.

Krockow war 1990 erstaunt über den sehr guten Zustand des Gebäudes. Sogleich aber vermisste er jegliche »Erinnerung an den berühmten Besitzer«. Dass das Wustrauer Schloss 1993 zur Tagungsstätte der Deutschen Richterakademie wurde, wirft wiederum bei Till Sailer Fragen auf: Gilt Preußen im neuen Deutschland nicht als Hort des Militarismus? Wird es gar als Heimstätte moderner Rechtspflege betrachtet? In Wustrau kommt auch der Bankier und Jurist Ehrhardt Bödecker zu Wort, der 1997 das Brandenburg-Preußen-Museum errichtet hat, mit einem Geschichtsumriss über 500 Jahre, in dem nachdrücklich auf Gebiete im Baltikum und heutigen Polen verwiesen wird.

Die Betrachtungen der Nachreisenden gehen - nicht nur aufgrund der verschiedenen Zeitebenen - weit über den Horizont Fontanes hinaus, weil sie nicht bei den Spuren der militanten Preußen-Geschichte stehen bleiben. In Zietenhorst holt Franz Fühmann die Vergangenheit mit Arbeitslager, Kriegsgefangenenlager und Strafgefangenenlager hervor, in Neuruppin schildert er in seinem 1967/68 als Auftragsarbeit entstandenen, jedoch erst 2005 erschienenen »Ruppiner Tagebuch« die Begegnung mit sowjetischen Offizieren der Garnison mit dem Hinweis: »darf ich nicht schreiben«. Diese Schere musste er öfter anlegen, so dass er den Buchauftrag schließlich wieder zurückgab.

Der Kunsthistoriker Lothar Lang zeigte sich begeistert von den Neuruppiner Bilderbogen, war sich jedoch bewusst, dass diese nicht nur verdienstvoll waren, da sie in Kinderarbeit entstanden sind. Während er sich freute, dass die »Herren spurlos verschwunden« sind, ärgerte sich Günter de Bruyn 1993 über die Landwirtschaftspolitik nach 1945, die mit Zersiedelung und der Zerstörung der Landwirtschaft einherging, um zu dem Urteil zu kommen, dass die »neuetablierte Marktwirtschaft« auch nicht besser sei.

Der Religionsstreit zwischen orthodoxen und reformierten Christen ließ Till Sailer eine Parallele zum Dogmatismus der »Einheitssozialisten in der DDR« erkennen: Der evangelisch-lutherische Theologe Paul Gerhardt verlor sein Amt, Wolf Biermann seine Staatsangehörigkeit.

Der Schriftsteller und ausgebildete Flötist Till Sailer richtet sein besonderes Augenmerk auf den kulturellen Wandel in der Region. Da kann er viel Neues entdecken: in Karwe etwa die Alte Schäferei, wo der Bildhauer Matthias Zágon Hohl-Stein, dessen Werken man überall im öffentlichen Raum begegnet, nicht nur arbeitet, sondern auch Symposien und Open-Air-Aufführungen organisiert und eine Kunstmeile errichtet hat. In Rheinsberg würdigt er die Musikakademie, die Kammeroper und Siegfried Matthus sowie das Literaturmuseum. Das Köpernitzer Herrenhaus wurde ein kulturelles Zentrum, und dem Literaturort Neuruppin hat Sailer ein ganzes Kapitel eingeräumt, in dem auch Georg Heym, Erich Arendt und Eva Strittmatter eine Rolle spielen. Durch das ganze Buch zieht sich die Frage, ob die DDR nur Scherben hinterlassen hat. Die Antwort ist eindeutig: Nein.

Till Sailer: Wegspur Fontane: Eine Nachlese im Ruppiner Land. Verlag für Berlin-Brandenburg. 168 S., geb., 19 €.

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