Das Kind im Fußballprofi

Blattgoldsteaks oder eingeflogene Friseure sind Ausdruck obszönen Glitzerwahns, meint Christoph Ruf

Kürzlich war ich bei einer Podiumsdiskussion im Ostwestfälischen. Geladen waren der Trainer eines Verbandsligisten, der eines Landesligisten und der Vertreter des örtlichen Fußballkreises, also einer Untergliederung des DFB.

Eigentlich waren die Rollen klar verteilt, so dachte zumindest ich, der überraschenderweise die kommerzkritische Position innehatte. Doch nachdem der eine Trainer sehr schlüssig begründet hatte, warum er keinen Euro für den privaten Besuch eines Erstligaspieles ausgeben würde - »Die tätowierten Söldner interessieren mich nicht« -, legte der Vertreter des Fußballkreises mit gehöriger Kritik an den DFB-Strukturen nach. Für die Basis täten die Funktionäre in Frankfurt nichts. Sie bekämen aus den Landesverbänden allerdings auch keinen Druck, weil dort primär Menschen in Amt und Würden seien, denen ein Platz im Flieger zum Länderspiel wichtiger sei als die Interessen eines Kreis- oder Landesligisten. Als ich an der Reihe war, blieb mir eigentlich nur, mich bei den Vorrednern dafür zu bedanken, dass sie schon so vieles von dem vorweggenommen hatten, was eigentlich auf meiner Agenda stand. Ich habe dann trotzdem noch viel geredet, Journalisten können offenbar nicht anders.

An diesen rundum gelungenen Abend musste ich denken, als wenige Tage später die Meldung über den Ticker ging, dass neun Spieler von RB Leipzig sich einen »Topfriseur«, Sheldon Edwards heißt der Mann, aus London ins Mannschaftshotel nach Frankfurt hatten einfliegen lassen. Was gleich mehrere Fragen aufwarf. Erstens: Woran erkennt man eigentlich einen »Topfriseur«, wenn in der kickenden Zunft sowieso alle den gleichen Haarschnitt haben? Zweitens: Warum werden Profis, die sich am Tag vor einem Auswärtsspiel die Haare machen lassen, nicht einem erneuten Einstellungstest unterzogen, in dem es um die Einstellung geht? Dass sie mit den Gedanken beim nahenden Spiel sind, mithin so »fokussiert« sind, wie das im branchenüblichen Sprachsubstitut so heißt, können sie ja eigentlich nur ihrer Großmutter erzählen. Und schließlich: Wo um Himmelswillen hatte das grob geschätzt 30-köpfige Funktionsteam der Rasenballisten seine 60 Augen, als der Friseur von Zimmer zu Zimmer wandelte?

Es wäre im Übrigen zu einfach, die Anekdote unter »Typisch RB« abzuhaken. Das wäre allein deshalb doof, weil das Instagramprofil des Barbiers auch die Skalps von Bundesligaspielern anderer Vereine abbildet. Und genau das ist das eigentlich Deprimierende an der Branche: der infantile Herdentrieb, der noch stärker ist als das Bedürfnis nach Protzerei und Angehimmeltwerden.

»Wenn du diesen Weg gehst, ist es bis zum Goldsteak nicht mehr weit«, hat RB-Mastermind Rangnick in Anspielung auf den ehemaligen Bayern-Profi Franck Ribéry gesagt, der sich mal mit dem Posting eines mit Blattgold verzierten 1000-Euro-Steaks Kritik eingehandelt hatte. Doch auch da täuscht sich der gestrenge Schwabe. Der Weg ist nicht nur nicht weit, er verläuft parallel. Denn so wie allein in diesem Winter Dutzende Bundesligaprofis im »Steakhaus« Nusr-Et gespeist haben, haben Dutzende Profis Edwards zum Haareschneiden engagiert. Nicht, weil sie besonders gerne Steaks essen oder mehr Wert auf ihr Äußeres legen als die anderen kickenden Pfauen. Sondern schlicht und einfach, weil Nusr-Et-Steaks und Edwardsfrisuren Instagram-kompatible Statussymbole sind wie teure Autos und Designershirts.

Nun bin ich weit davon entfernt, in den Chor der »Früher war alles besser«-Leute einzustimmen. Denn der Currywurst-und-Pils-Kult der Altvorderen kann genauso peinlich und aufgesetzt sein wie der gegenwärtige Glitzerwahn. Der Skandal ist, welche obszönen Summen die Spieler verdienen. Dass sie die Knete dann auch ausgeben, kann man ihnen nicht verdenken. Dass sie nicht wissen, wofür, weil viele von ihnen keine wirklichen Interessen haben, hingegen schon.

Wer gerne gut essen geht, kann sich bei mir ein paar Restauranttipps abholen. Billig ist es dort auch nicht, aber es geht um das, was auf dem Teller liegt, nicht um das, was ich nachher ins Netz stellen kann. Doch vielen geht es nicht ums Genießen, es geht um die Fassade. Und hinter der ist bei allzu vielen Spielern oft nur ein klaffendes Nichts.

»Tief in mir drin bin ich ein Kind geblieben«, sang Peter Maffay einst. Wer das Kind im Fußballprofi sucht, muss dabei oft gar nicht so tief graben - ein Blick und ein paar Worte genügen.

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