Wem gehört der Fluss?

Die Ausstellung »Swim City« wagt eine Neuerfindung des öffentlichen Raumes

  • Beatrix Dargel
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie ist das so? In der Mittagspause schwimmen und danach erfrischt zurück an den Arbeitsplatz? Oder den Weg zur Arbeit schwimmend zurücklegen? In der Großstadt? Das geht. Alles, was man gerade dabeihat, kommt einfach in eine wasserdichte Packtasche, die mitschwimmt. Das Flussschwimmen in den Schweizer Städten ist auf dem besten Wege, zu einer wirklichen Massenbewegung zu werden, und ist inzwischen ein kleiner Mosaikstein der Neuerfindung des öffentlichen Raumes. Die Wanderausstellung »Swim City«, des S AM, Schweizerisches Architekturmuseum Basel, ist bis zum 13. März 2020 im AIT-Architektursalon Hamburg zu sehen.

Innenstädte sind kommerziell attraktiv, und ihre Bewohner werden durch steigende Bodenpreise und Mieten an den Rand gedrängt. Da ist der öffentliche Raum umso wichtiger, weil er von allen kostenlos genutzt werden kann - nur sind diese Räume begrenzt und werden immer knapper. Und hier kommt der Fluss als öffentlicher Raum ins Spiel. In Basel ist der Flussraum tatsächlich der größte öffentliche Platz. Er ist breit und hat anstelle von begehbaren Flächen eben Wasser, Platz zum Baden mitten in der Stadt, und ist kostenlos. Alle Interessierten haben den gleichen Zugang zum Fluss, tragen dieselbe »Kleidung«, nämlich Badesachen; soziale Unterschiede werden nicht sichtbar, ein inklusives Gefühl entsteht, ein kleines, aber wichtiges Stück gesellschaftlicher Teilhabe. Wie auch an trockenen Stellen des öffentlichen Raumes lernen sich hier Leute kennen und kommen ins Gespräch. Stadtbewohner, die sich sonst vielleicht nicht begegnen würden.

Das Baden in Flüssen hat in der Schweiz eine lange Tradition, die Schweizer Badevielfalt gilt inzwischen als weltweites Vorbild. Diese Vielfalt hat eine wechselvolle Geschichte. Die Chemie-Katastrophe im Jahr 1986 im Industriegebiet »Schweizerhalle« bei Basel verursachte Boden- und Grundwasserverschmutzung, Fischsterben und beeinträchtige auch die Bevölkerung. Das daraufhin erlassene landesweite Phosphatverbot trug entscheidend zu besserer Wasserqualität bei. Es dauerte einige Jahre, bis sich die Natur erholt hatte und wieder an ein Schwimmen im Fluss zu denken war.

Die Ausstellung vermittelt aber nicht nur trockene Fakten, sondern spricht vor allem die Emotionen an. Die Ausstellungsbesucher können multimedial als »Schwimmer« in die verschiedenen Flüsse »eintauchen«, in Fließrichtung des jeweiligen Stroms, alles gut im Blick, unter Brücken hindurch, anderen Schwimmern folgen, sich unterhalten, Wasserball spielen, unter Wasser tauchen und weiterschwimmen. Die Stadtlandschaft zieht an beiden Ufern vorbei und auch andere Stadtbewohner, die am Ufer sitzen oder flanieren.

Diese besondere Perspektive vom Fluss aus, realisierte der Filmregisseur Jürg Egli, Aufnahmen mit sechs Kameras auf einem Floß, drei über und drei unter Wasser. Die Filminstallation als Triptychonprojektion vermittelt mittels Videoloop einen Eindruck vom Schwimmen im Fluss. Da bekommt man gleich Lust, da wo es möglich ist, ebenfalls ins Wasser zu steigen. Der Fluss bietet den Schwimmern eine andere, ungewohnte Perspektive auf die Stadt.

Warum ist das Flussschwimmen in den Schweizer Städten so beliebt, in Bern, Basel, Zürich und Genf? Das wissen Sie, wenn Sie die Ausstellung besucht haben. Vielleicht geht ja die nächste Reise in die Schweiz, zum Schwimmen im Fluss.

Wem gehört der Flussraum? Niemandem und allen. Also - nutzen wir die Wasserwege als Schwimm- und Erholungsräume. Bald auch, wenn alles wie geplant klappt, in den nächsten Jahren in Berlin. Das Projekt heißt »Flussbad Berlin«, es geht um die Nutzung von Bereichen des Spreekanals für Badegäste und Schwimmer. Einmal im Jahr darf man jetzt schon schwimmen - zum Berliner Flussbad-Pokal. Auch München ist an einem Flussbad interessiert. Flussräume lassen sich zurückgewinnen und die Lebensqualität verbessern. Erweitern wir gemeinsam den öffentlichen Raum und nutzen die Flüsse. Pack die Badehose ein!

Ausstellung »Swim City«, bis 13. März im AIT-Architektur-Salon, Bei den Mühren 70, Hamburg.

Andreas Ruby, Yuma Shinohara (Hg.): Swim City. Christoph-Merian-Verlag, 224 S., br., 38 €.

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