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»Schämt euch!« - Empörung über CDU und FDP auf der Straße

Tausende bei Demonstrationen gegen Kemmerich-Wahl in Thüringen mit AfD-Unterstützung

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit massiver Unterstützung der AfD ist es am Mittwochabend in zahlreichen deutschen Städten zu spontanen Protesten gekommen. In der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt versammelten sich etwa 1000 Menschen vor der Staatskanzlei und bildeten eine Menschenkette. Vor dem Eingang brannten Kerzen, Demonstranten hielten ein Transparent »FDP und CDU: Steigbügelhalter des Faschismus«.

Der bisherige Staatskanzleichef der rot-rot-grünen Landesregierung, Benjamin-Immanuel Hoff (LINKE), erinnerte bei der Demonstration in Erfurt daran, dass vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus bürgerliche Kräfte in Thüringen der NSDAP an die Macht verholfen hatten. Bereits am Nachmittag hatte es vor dem Landtagsgebäude eine Protestdemonstration gegen die Kemmerich-Wahl gegeben. Mit Trillerpfeifen und auf Plakaten äußerten die Demonstranten ihren Unmut über den Wahlausgang und ihre Sorge vor einem weiteren Erstarken der extremen Rechten in Thüringen. Auch hier waren auf Plakaten historische Vergleiche zu lesen. »1930 erster Minister der NSDAP, 2020 erster Ministerpräsident mit Stimmen der AfD«, lautete die Aufschrift auf einem handgemalten Plakat. Vor 90 Jahren war mit dem später in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilten und hingerichteten Wilhelm Frick der erste NSDAP-Politiker in eine deutsche Landesregierung gekommen.

In Jena demonstrierten 2000 Menschen in der Innenstadt. Auch in Weimar, wo sich bereits am Nachmittag 200 Menschen versammelt hatten, in Gotha und Ilmenau kam es zu Demonstrationen.

In Berlin versammelten sich am Abend hunderte Menschen vor der FDP-Bundeszentrale im Stadtteil Mitte. Zu der Kundgebung hatten die Berliner SPD, die Grünen und die LINKE aufgerufen. »Wer hat uns verraten? Freie Demokraten«, skandierten die Teilnehmer unter anderem. Zu sehen waren auch Fahnen der VVN-BdA, vom Unteilbar-Bündnis, sowie von antifaschistischen Gruppen. Die Menschen waren sichtlich wütend, der Eingang der Liberalen-Zentrale war von Polizisten bewacht. Parolen wie »FDP Scheißverein - lässt sich mit den Nazis ein« wurden gerufen, auf einem Plakat stand »FDP - Nazifreunde.«

Mehr als 2500 Demonstranten waren gekommen. »Spätestens heute ist klar geworden, dass der Dammbruch da ist und der Riss durch die bürgerlichen Parteien geht«, erklärte die Sprecherin Elli Rieber vom »Unteilbar«-Bündnis gegenüber »nd«. Nun sei Druck notwendig, um die Ministerpräsidentenwahl zu revidieren. »Die Bundesparteien können sich hier nicht aus der Verantwortung ziehen«, warnte Rieber.

Markus Tervooren, der Geschäftsführer der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, zog gegenüber »nd« historische Parallelen. »Die deutschen Konservativen machen das, was sie schon früher gemacht haben: Sie hieven die Nazis in eine Regierung.« Dagegen brauche es nun entschiedenen antifaschistischen Widerstand. »Wir sind nicht mehr bei ‚Wehret den Anfängen‘, sondern bei ‚Schlagt sie zurück, die Faschisten‘«, so Tervooren. Jana Brix von der Grünen Jugend Berlin machte deutlich: »Der AfD wird diese Wahl nicht genügen, sie wird nicht aufhören, unsere Demokratie zu zersetzen.«

Mehrere Hundert Menschen demonstrierten am Mittwochabend in Köln und Düsseldorf vor FDP-Büros gegen die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich. Zu der spontanen Demonstration in der Kölner Innenstadt kamen etwa 300 Menschen. Verschiedene Gruppen hatten dazu aufgerufen, darunter »Köln gegen Rechts« und »Fridays for Future«. Sie trugen Transparente mit Aufschriften wie »Schämt Euch« oder »Ihr seid so erbärmlich«. In Düsseldorf nahmen laut Polizei etwa 200 Menschen an einer Demonstration vor der FDP-Zentrale teil. »Köln gegen Rechts« erklärte: »Heute wiederholt sich erneut die Geschichte, in der sich wieder konservative und dieses Mal auch liberale Kräfte zusammen mit offen faschistischen und rassistischen Kräften, der AfD, verbünden.«

In Hamburg demonstrierten über 2000 Personen, in Leipzig über 1000. In Frankfurt am Main protestieren ebenfalls rund 1000 Demonstranten. »Die AfD hat heute mir unserer Demokratie Pingpong gespielt und FDP und CDU haben sich zu ihrem Spielball gemacht«, sagte dort der SPD-Politiker Mike Josef. Von der Höcke-AfD dürfe man sich nicht wählen lassen. »Wenn man mit Faschisten und Antisemiten gemeinsame Sache macht, trägt man Mitschuld an ihrem Erstarken«, so Josef.

Proteste gab es unter anderem auch in Hannover, Bremen, Magdeburg und Halle. Für Freitag und das Wochenende werden bereits weitere Demonstrationen geplant. Die antifaschistische bundesweite Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« erklärte am späten Mittwochabend: »Das ist erst der Anfang. Alle zusammen gegen den Faschismus!« An die Sozialdemokraten in der Großen Koalition gerichtet, erklärte sie: »Wenn die SPD mit der CDU auf Bundesebene weiter koaliert, ist jede Abgrenzung nichts als Schwätzerei.« Agenturen/nd

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