»Ich nenne mich heute mit Stolz einen Juden«

Der Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Alban Berg

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Forschungsarbeit zur Schönberg-Schule hat sich erstaunlich entwickelt. Eine kritische Gesamtausgabe der Werke und Schriften liegt zum Teil vor und wird intensiv weiterbetrieben. Dazu gehören auch die Briefwechsel der Wiener Schule, von denen bisher ein Band vorlag: der Briefwechsel Alexander Zemlinskys mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker. Ein weiterer Band ist jetzt in zwei Teilbänden auf den Markt gekommen: der Briefwechsel zwischen Schönberg und Berg. Briefe herauszugeben, ist zumeist eine Sisyphosarbeit. Der Herausgeber muss längerfristige Dechiffrierungsarbeit tun, muss umfänglich recherchieren, Textkritik vornehmen, die brieflichen Fakten und Hintergründe erklären, kommentieren, damit der interessierte Leser in etwa im Bilde ist, wann, was, warum, unter welchen Umständen formuliert worden ist. Geschichtliche Hintergründe sind dabei keineswegs auszublenden, sondern in gehörigem Maße zu den Dokumenten zu stellen. All das weist die vorliegende Editition des Briefwechsels zwischen Schönberg und Berg auf, herausgegeben im Auftrag des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz Berlin von Thomas Ertelt. Die zwei Bände mit insgesamt knapp 1400 Seiten geben alle erhaltene Korrespondenz wieder. Sie ergänzt und erweitert das biografische Bild der Protagonisten. Der Briefwechsel, auch eine Fundgrube für aufführungsästhetische, werk- und entstehungeschichtliche Details, dokumentiert ein Demutsverhältnis. Berg vergottete Schönberg. Das spürt man in jeder seiner Zeilen, und seien sie nur indirekt in Verbindung mit dem Meister. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Briefeschreibern: Schönberg schreibt in der Mehrzahl der Fälle pragmatisch, auf die praktische Sache hin, die zur Rede steht, präzise, ohne Schnörkel. Er weiß, zwischen Haupt- und Nebenklängen zu unterscheiden und beachtet die Längenverhältnisse. Anders Berg. Er formuliert - in den ersten Jahren vor allem, der Briefwechsel setzt 1906 ein - weitschweifig. Der junge Alban erzählt von seinen Kankheitsgeschichten, leuchtet ins Innnere seiner Psychologie, beliebt es, die Idealität der Genien romantisch auszumalen. Und je mehr er das tut, desto mehr schwärmt er sich über die Größen der Kunst und Musik aus, über Strindberg, Wagner, Mahler und andere. Und natürlich über den geliebten Meister selbst, dem er so viel verdankt, den er mit »lieber, verehrter Herr Schönberg« und noch innigeren Worten anredet. Nach dem Erfolg seines »Wozzeck« in den 1920er Jahren ändert sich das etwas. Berg wird sachlicher, gelassener, er ist weniger weitschweifig. Seine Gedanken steuern auf einen Punkt, eine Sache hin. Aber verlassen hat ihn diese Demutshaltung nie. Sie verstellte, nicht anders zu erwarten, manchmal seinen Blick. Andererseits hatte er von Schönberg ungeheuer viel gelernt, selbst das Briefeschreiben. Man erkennt den gelehrigen Schüler auch in der Diktion, die sich in den Briefen mit den Jahren veränderte. Natürlich, das bringt der Gegenstand mit sich, wimmelt es in der Korrespondenz nur so von Redundantem. Die beiden waren auch nur Menschen. Als Schönberg Anfang der 1920er Jahre in Holland unterrichtete, weiß er ausführlich über die dortigen Teuerungsraten zu berichten. Überhaupt, pekuniäre Fragen huschen wie Mäuse durch die Texte. Da geht es um Verteilungsmodi für Spendengelder, diverse Briefe erörtern ausführlich Honorarangelegenheiten, Geldprobleme mit Verlagen und Konzertveranstaltern. Aus der Feder sprudelt, welcher Kurs gerade gängig ist, wie viel der Unterricht kostet, wer was, wie viel, wann zu zahlen hat, ob die Rechnungen von Bediensteten rechtens seien, wie viel der Installateur kostet usf. Um Musik im engeren Sinne geht es eher selten. Ästhetische Fragen, etwa, was das Wesen der Schönberg-Schule ausmacht, ihr polyphoner Geist, erörtert Schönberg lieber in den Rundbriefen an seine Schüler als in privaten Korrespondenzen an Berg oder andere Mitstreiter. Brief heißt hier auch Postkarte, Widmungen auf Fotos, Schreiben von Dritten, die im Auftrag der beiden verfasst wurden, und dergleichen. Sehr aufschlussreich ist der Einblick in die Tätigkeit von Schönbergs 1918 gegründetem Verein für musikalische Privataufführungen. Hierzu findet sich in den Briefen eine Fülle ergänzenden Materials. Auch, wo aufführungsästhetische Fragen angesprochen und erörtert werden: Klang-Ideale, Kriterien der Klarheit der Stimmführung, Haupt- und Nebenstimmenkonstellationen, zur Qualität von Aufführungen insgesamt. Etwa in dem Brief Schönbergs vom 6.12.1920 über die Wiedergabe seines 1. Streichquartetts durch das Budapester Streichquartett und die etwas missratene, wie er meint, Aufführung seiner Kammersymphonie. Nicht selten kontrastiert die verbale Linienführung der Protagonisten. Ernsthafte Überlegungen wechseln mit Kuriosa, etwa wenn Berg im Auftrag Schönbergs - er erhielt viele Aufträge vom Meister und erfüllte sie folgsam - Angaben über die aktuelle Mode oder Kleiderordnung im Konzertbetrieb recherchiert, da der Meister unsicher sei, was er wohl bei seinem Dirigat in England anziehen werde. Demgegenüber sucht man nach Wertungen und Reflexionen auf eingreifende zeitgeschichtliche Ereignisse vergeblich. Revolutionen wie die russische vom Oktober 1917 oder die deutsche vom November 1918 wollen die Briefe nicht kennen, oder man stößt auf indirekte private Auslassungen darüber, die nicht oder sehr selten in die Tiefe gehen. 1914 keimt in Berg-Briefen dessen Begeisterung für den Krieg auf. Militärdienst tue er, obwohl gesundheitlich angeschlagen, gern. Zitat: »Es ist für mich sehr beschämend, bei diesen ungeheuren Ereignissen nur als Zuschauer zu fungieren.« Bekanntlich hat sich Berg, als der Krieg immer entsetzlicher wurde, als Kriegsgegner zu stilisieren versucht, der er nicht war. Zugleich artikulierte er wie Freund Webern seine Befürchtung, dem Abgott Schönberg, der gleichfalls mobilisiert wurde, könne etwas zustoßen und man müsse ihn darum dringend vom Militärdienst entbinden. 1932 schreibt Schönberg: »Ich nenne mich heute mit Stolz einen Juden.« Berg geht darauf nicht weiter ein, aber er bleibt konsequent an Schönbergs Seite. Er registriert sehr wohl, dass sein geliebter Lehrer nun nicht mehr seinen Namen mit »o-e», sondern mit »ö« schreibt und statt deutsch nur noch lateinisch schreibt. Zeichen der Abkehr vom Deutschtum und der Zuwendung zum Judentum. Die editorische Leistung des Berg-Schönberg-Briefwechsels ist bestechend, die Genauigkeit, mit der die Herausgeber zu Werke gegangen sind, ist kaum zu übertreffen. Sie trachteten danach, ein umfängliches Bild zu geben, und haben viel Zeit und Arbeit für detailgenaue Textkritik und Kommentierung investiert. Freilich, viel Beiwerk läuft mit, das den durchschnittlichen Leser nicht so sehr interessieren dürfte. Für den Freund der Schönberg-Schule und den Musikforscher indes ist es eine höchst instruktive, die Zusammenhänge weiter aufschließende Sammlung und eine Möglichkeit, Denken und Tun zweier Großer der Musik des 20. Jahrhunderts in Schriftform nachzuvollziehen. Thomas Ertelt (Hg.): Briefwechsel Arnold Schönberg - Alban Berg. 2 Bände. Schott Verlag, 1380 S., geb., 69,95 EUR.

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