FK Pirmasens rule the world

Fifa-Klub-WM? Pah! Im Internet gibt es eine viel bessere Klub-Weltmeisterschaft, und sie läuft seit 1871

  • Klaus Ungerer
  • Lesedauer: 7 Min.
1893, ein Kampf der Giganten: Sunderland (74 UFCC-Titel) gegen Rekordweltmeister Aston Villa (102 Titel)
1893, ein Kampf der Giganten: Sunderland (74 UFCC-Titel) gegen Rekordweltmeister Aston Villa (102 Titel)

Jeder Fußballfan weiß: Das eigentliche Glück ist die Hingabe, nicht der Sieg. Kein wirklicher Fan wird immer gewinnen wollen, denn nichts ist intensiver als die Zerschmetterung, kein Ereignis bietet emotional mehr als ein bitterlich durchheulter Abstieg. Und niemand beneidet die Anhänger des FC Bayern München, die das Glück des Siegens gar nicht mehr kennen, weil ihnen der Triumph zur Routine geworden ist. Der einzelne Sieg im einzelnen Spiel wird kaum noch empfunden, allenfalls das Horten von Punkten und Titeln ruft eine entfernte Befriedigung hervor, weit weg ist das Urerlebnis des Fußballs, mit dem alles begann: Zwei Mannschaften aus zwei Orten treten gegeneinander an, man weiß nie genau, wie es kommt, und wer am Ende ein Tor mehr geschossen hat, erlebt die ganze Ekstase des Glücks. The Winner takes it all.

Das war einmal. Längst ist der fußballerische Erfolg dorthin gewandert, wo keine Spannung mehr herrscht, sondern wo das Geld im großen Umfang und erwartbar zufließt: Spätestens die Erfindung der Champions League hat den Sieg des Mammons über den Sport gebracht. Seit die Uefa hier absurde Summen auf immer dieselben Vereine umhebt, sind in der Spitze keine echten Überraschungen mehr möglich. Großklubs wie der FC Bayern, Real Madrid oder Manchester City sind nicht mehr einzuholen, Konkurrenz ist auf Dauer nur noch an Standorten wie Leipzig, Leverkusen oder Wolfsburg möglich, wo die Teams nur PR-Projekte von Weltkonzernen sind und sich mit Endlosknete in den Wettbewerb der Sportvereine hineingemogelt haben.

Ist der Fußball nun also tot? Nun, Fans wissen, wie und wo sie sich das wahre Erlebnis verschaffen können, sie strömen in Massen zu ihrem Heimatklub wie etwa dem aktuellen Meister der Regionalliga West, MSV Duisburg, der mit 17 000 Fans pro Heimspiel in den meisten Ländern der Erde erstligareif wäre. Oder die Leute gehen zu Altona 93 in der Hamburgliga, wenn ihnen Kultklub St. Pauli zu kommerziell geworden ist. Wenn also die Geldvermehrer der Fifa sich ein neues Irrsinnsprojekt ausgedacht haben wie eine »Fifa Klub-WM«, die einen Monat dauern und Kicks zwischen Gigaklubs aus Europa und Tüdelteams aus dem Rest der Welt bringen soll, mitten im Sommer, mit dem einzigen Sinn, den Gigaklubs und der Fifa noch mehr Geld rüberzuschaufeln – dann regen Kenner sich nicht mal auf. Der wahre Fußballfreund geht dann halt zur Homepage »Steve’s Footie Stats Site« (stevesfootballstats.uk), da kann man immer hin, ohne Eintritt, ohne Werbung. Diese Seite eines Fußballnerds ist die Heimat der einzigen wahren Klub-WM: »The Unofficial Football Club Championship«. Dieser Wettbewerb läuft seit dem 11. November 1871: Upton Park gegen Clapham Rovers. Null zu drei.

Dies war ein Erstrundenmatch im allerersten FA-Cup, über den Daumen gepeilt das erste Match zweier Fußballklubs in einem offiziellen Wettbewerb. Upton oder Clapham, es konnte nur einen geben, die Spieler Kenrick (zwei Tore) und Thompson machten sich so unsterblich, wie man sich nur in einem K.-o.-Spiel unsterblich machen kann. Hopp oder top, the winner takes it all, wer verliert, kann den Journalisten nicht erklären: Wir müssen diese Fehler bis nächste Woche abstellen. Weil es keine nächste Woche gibt.

Das erste offizielle Klub-Wettkampfspiel war also ein K.-o.-Spiel, die Clapham Rovers, wenn man nur wirklich daran glauben will, die ersten Fußballkönige der Welt. Andere Wettbewerbe brauchen viele Pokalrunden, brauchen zig Spieltage, ganze Saisons, bis sie mal einen Sieger ermittelt haben. Nicht so die UFCC. Sie übernimmt zwar die ausgespielten, realen Resultate. Nicht aber deren Deutung. Sämtliche Pokalrunden und Tabellen verwirft die UFCC. Jedes Spiel der aktuellen Champions ist ein Endspiel, ein Endkampf: Wann werden sie geschlagen? Egal in welchem Wettbewerb, egal gegen wen.

Schon im Dezember 1871 verlor Clapham gegen den Wanderers F.C., der seinen Titel über zwei Jahre lang verteidigen konnte, da er erst im Januar 1874 wieder ein Spiel im FA-Cup verlor, 0:1 gegen Oxford University, und so war Oxford, wenn man dran glauben will, der dritte Klubweltmeister der Geschichte.

Fantasie ist wichtig für Fans. Meist haben sie mehr Begeisterung, aber weniger Bewegung als die Fußballspielenden selbst, daher wird die Fantasie im Vergleich mit der schnöden materiellen Realität hochgehalten: Beglückt denkt der Fan zurück an die Triumphe seines Klubs, die er selber gar nicht erlebt hat. Er spielt die Restsaison in Gedanken bis zum Saisonende durch, sodass der eigene Klub wie durch ein Wunder doch noch dem Abstieg entkommt. Fantasie-Fußballligen gibt es zu Tausenden, Millionen Menschen hängen in Fußball-Managerspielen on- oder offline, wo sie ihren Klub auf den Erfolgsweg bringen. Daher ist auch ein Gedankenspiel wie »The Unofficial Football Club Championship« beliebt, eine alternative Historie des Klubfußballs, die sich in die wahre Geschichte eingeschrieben hat. Sie hat die Autorität einer über 150-jährigen Geschichte, und niemand hat jemals einen Penny damit verdient.

In den ersten Jahren wich sie nicht weit ab vom englischen Pokal, dem FA-Cup. Denn es gab noch keine anderen Wettbewerbe. Interessanter wurde es dann mit Gründung der englischen Football League 1888. Von nun an gab es alle paar Tage ein Endspiel um die Krone der Welt (auch wenn es von den Zeitzeugen nur als x-beliebiges Ligaspiel wahrgenommen wurde). Hin und her ging der Titel, heute Stoke, morgen Everton, nächste Woche die Blackburn Rovers, das hätte auf die Dauer ein wenig langweilig werden können – doch in der UFCC lebt der Traum jedes Fußballfans: Wie klein dein Klub auch sei, er könnte eines Tages ganz, ganz oben stehen! Denn jeder amtierende UFCC-Champion hat mal einen schlechten Tag. Und wenn er den schlechten Tag in einem Pokalspiel nimmt … gegen einen Gegner aus einer unterklassigen Liga …

Am 6. März 1937 war Millwall nicht nur das erste drittklassige Team, das jemals das FA-Cup-Halbfinale erreichte. Unter begeistertem Mützenschwenken der 40 000 im vollgepackten The Den wurde Millwall damit, ohne es zu wissen, auch der erste drittklassige Klubweltmeister, sodass der Titel für einige Jahre in der Exklusivität der Division Three (South) kursierte, um erst nach dem Krieg wieder die Erstklassigkeit zu erreichen.

Fantasie ist, was Fans am Leben hält.

Der Welttitel verblieb in den ersten Jahrzehnten in Großbritannien, das liegt in der Natur der Sache: Wer zuerst einen Liga- und Pokalbetrieb auf die Beine stellt, hat erst mal den Titel. Erst in den Fünfzigerjahren klopfte dann auch mal die Fußballwelt von jenseits des Kanals an. Es gab jetzt den Europapokal und also die Möglichkeit, den Welt-Titel 1956 von der Insel zu verlieren. 1956 hatten sich die amtierenden UFCC-Champions von Manchester United erst mit dem RSC Anderlecht auseinanderzusetzen (2:0 und 10:0), dann wurde es gegen Borussia Dortmund schon eng: 3:2. Gut zwei Jahre später geschah dann das Undenkbare: In der Gelsenkirchener Glückaufkampfbahn verloren die UFCC-Champions von Wolverhampton Wanderers mit 1:2 gegen Schalke 04. Und schon das nächste Spiel verloren die Schalker Europapokalhelden, in der Oberliga West, 2:3 beim SV Sodingen. Der Welttitel befand sich somit in Herne. Er pendelte eine Zeit lang in der Oberliga West herum, wechselte kurzzeitig zum Hamburger SV und verschwand dann für eine Weile in der Oberliga Berlin.

Tasmania war Weltmeister, Wacker 04 war Weltmeister, der Spandauer SV war Weltmeister, Hertha BSC natürlich ooch. Und wenn der gemeine Fußballfan sich auf irgendwas verlassen kann, dann auf eine Pokalpleite der Hertha: Im August 1960 setzt es ein 0:1 gegen FK Pirmasens, wodurch der Welttitel in die Südwest-Oberliga wechselte, bis die dortigen UFCC-Champions von Wormatia Worms ihrerseits gegen einen noch unterklassigeren Klub verloren, die Fvgg. Mainz-Mombach aus der Amateurliga Südwest.

Alles ist möglich! Ein Sieg, eine gute Tagesform, zwei gute Grätschen, Schuss, Tor, hinein! Die umfangreiche Geschichte des UFCC hat viele fromme Fantasien wahrgemacht: Jeder kann hier alles werden, Erfolg ist nicht zu kaufen, alles hängt mit allem zusammen. Jahrzehntelang ist der Titel in unteren Ligen umhergewandert, ist durch Pokalspiele wieder hochgereicht worden, ist im Europapokal abgeklatscht worden durch eine Mannschaft aus einem anderen Land und dort dann wieder versunken: Die gesamten 2010er Jahre über war der Titel unrettbar, wie es schien, in den Tiefen der französischen Amateurligen abgetaucht, bis Paris St. Germain ihn 2020 an sich riss, nur um ihn bald an den FC Bayern zu verlieren (Champions League Endspiel 2020), worauf er eine Weile in der Bundesliga verkehrte, in Ungarn, Spanien und Italien.

Die UFCC hat vieles gesehen, und doch steht das Projekt erst am Anfang: Es gibt noch eine ganze Welt zu bespielen! Amtierender Champion ist Borussia Dortmund, die den Titel im April mit einem 3:1 über Barcelona an sich gerissen haben. Am Dienstag nun liegt eine neue Welt in der Luft: Klub-WM, Fifa-Style. BVB-Gegner ist Fluminense. Aus Rio. Zum ersten Mal überhaupt könnte der Welttitel in diesem Spiel Europa verlassen! Und das ist dann auch schon der einzige Grund, sich für diesen Wettbewerb, die neueste Fifa-Geldmaschine, zu interessieren.

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