Elbdisharmonie

Wohnungsbau und Mietendeckel werden in Hamburg und Berlin kontrovers diskutiert.

  • Martin Kröger, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Fotografier dat noch mool, dat wirst du nie weeder sehen«, ruft der Radfahrer im Vorbeifahren mit breitem Hamburger Akzent. Noch steht der rote Klinkerbau des 111-jährigen Traditionsvereins ESV Einigkeit Wilhelmsburg. Doch die Vereinsgaststätte, die südlich des Hamburger Hafens liegt, muss umziehen. Auch die Kleingartenkolonie auf der Elbinsel Wilhelmsburg in Hamburg, gleich neben der Sportanlage, wird bereits geräumt. Bagger reißen die alten Lauben nieder, erste neue Wege sind angelegt worden. In den kommenden Monaten sollen an dieser Stelle 2100 Wohnungen entstehen. Es ist eines der größten Neubauprojekte der Hansestadt gegen die grassierende Wohnungsnot, mit der auch die wachsende Elbmetropole Hamburg mit ihren rund 1,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu kämpfen hat. Das 47 Hektar große »Elbinselquartier« in Wilhelmsburg soll ein Stadtviertel werden, »in dem sich die Interessen aller Beteiligten wiederfinden und in dem sich neue Bewohner, Alteingesessene, Anwohner, Gewerbetreibende, Beschäftigte und Besucher gleichermaßen wohlfühlen«. So heißt es auf der Projektseite des zuständigen Entwicklers IBA Hamburg GmbH.

Nur acht Kilometer sind es von Wilhemsburg bis ins Zentrum Hamburgs. Vom Deich der Insel kann man am Horizont hinter den Kränen des Hafens die Hafencity sehen und die Silhouette der Elbphilharmonie, einen der größten Skandalbauten der Republik, der 2017 eröffnet wurde. Doch von Harmonie kann im benachbarten Wilhelmsburg seit Längerem nicht mehr die Rede sein - die Elbinsel mit ihren alteingesessenen Bewohnern, die sich selber als »Insulaner« bezeichnen und von Hamburg nur als der »Innenstadt im Norden« sprechen, wird durch den Neubau nämlich ordentlich durchgerüttelt. Es herrscht Disharmonie.

»Die Wohnungen, geplant für 15 000 Menschen, sind nicht für die Leute von hier gedacht, sondern für diejenigen, die zuziehen«, kritisiert Dirk Holm. Der einst bei der Werft Blohm & Voss ausgebildete Maschinenschlosser lebt seit 1990 hier. Holm engagiert sich im Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg, der sich kritisch mit der Stadtentwicklung in dem einst ländlich geprägten Wilhelmsburg auseinandersetzt. Wie in anderen Stadtteilen der Hansestadt steigen auch die Mieten auf der Elbinsel. Dirk Holm: »Viele Menschen, die hier schon lange leben, können sich die Mieten in den Neubauwohnungen nicht leisten, weil sie von Transferleistungen wie Hartz IV leben müssen.« Der Vertreter des Bürgervereins glaubt auch nicht, dass ein Drittel der neuen Wohnungen günstiger sein werden, weil sie gefördert werden. »Das ist Augenwischerei«, sagt er.

Viele Alteingesessene befürchten darüber hinaus mit dem Zuzug einhergehend eine Verschlechterung der gesundheitlichen Versorgung und der Verkehrssituation. Außerdem würden, wie bei den Kleingärten, viel Stadtgrün und zahlreiche Bäume beseitigt - ohne die Schaffung von Ausgleichsflächen. Besonders ärgerlich sei auch, dass die Bürgerbeteiligung aus Sicht des Vereins zu wünschen übrig lasse. »Wenn der Senat es will, zieht er jedes Projekt an sich. Jede 300-Menschen-Gemeinde kann klagen, aber wir haben dazu in Hamburg keine Möglichkeit«, schimpft Holm. Da bereits zur Internationalen Bauausstellung viele schicke Neubauten in Wilhelmsburg gebaut wurden, wissen die Menschen vor Ort, was ihnen blüht. »Die neuen Wohnquartiere sind aus meiner Sicht für die Investoren gebaut worden und weniger für die Menschen, die hier bereits sind«, sagt Dirk Holm.

Im aktuellen Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaft zählen Stadtentwicklung und der Wohnungsmangel zu den wichtigsten Themen. Wenn es gar nicht die wichtigsten sind. Wie in Berlin stiegen die Mieten auch in der Hansestadt in den vergangenen Jahren stark an: Während sich die Angebotsmieten in der Hauptstadt innerhalb von zehn Jahren verdoppelten, waren in Hamburg Mietsteigerungen von 21 Prozent zu verkraften - trotz 55 000 neuer Wohnungen, die seit 2011 bereits gebaut wurden.

»Wir gucken interessiert nach Hamburg, weil sie früher angefangen haben beim Wohnungsbau«, sagt Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher. Die Linksparteipolitikerin ist an diesem Freitagabend im Februar auf Einladung der Hamburger Linksfraktion im zentralen Stadtteil St. Georg zu Gast, wo die Gentrifizierung, also die Verdrängung von Mieterinnen und Mietern, besonders wütet. Die hiesigen Sozialisten setzen aktuell im Wahlkampf auf den Berliner Mietendeckel, den die Hamburger SPD indes strikt ablehnt. »Nach Berlin: Mietendeckel auch für Hamburg!«, heißt es auf einem Flugblatt. Deshalb auch die Einladung an Lompscher, die Deutschlands erste Mietenregulierung auf Landesebene als Senatorin mitgestaltet hat. Anders als Hamburg setzt der rot-rot-grüne Senat seit Längerem bei der Bekämpfung der Wohnungsnot nicht mehr allein auf das Mantra: »Bauen, bauen, bauen«, sondern auf den Dreiklang »Bauen, kaufen, deckeln« - also die Instrumente Mietenregulierung, Ankauf von Wohnungsbeständen für die landeseigenen Wohnungsgesellschaften und Neubau. »Der Mietendeckel ist eine Seite der Medaille, die Schaffung zusätzlichen leistbaren Wohnraums die andere Seite«, sagt Lompscher.

In der Hamburger Wohnungswirtschaft ist die Berliner Regulierung extrem unpopulär. »Der Mietendeckel ist komplett verzichtbar wie Pflanzengift, das mit der Gießkanne über der Stadt ausgeschüttet wird«, sagt Andreas Breitner, den am Mietendeckel insbesondere stört, dass er »unsozial« sei. Der Direktor des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen ist ebenfalls der Einladung der Linkspartei zu der Veranstaltung gefolgt. Als Vertreter der Wohnungswirtschaft vertritt Breitner unter anderem auch Genossenschaften, mit gierigen privaten Vermietern hat er also nichts am Hut. »In Würde zu wohnen, darauf hat in Deutschland jeder ein Anrecht«, sagt er. Dass es in Hamburg generell einen Wohnungsmangel gibt, streitet der Verbandsvertreter aber ab. In Richtung Hauptstadt und Lompscher hat er vor allem eine Empfehlung: »Sehen Sie zu, dass Sie mit Ihren fünf kommunalen Wohnungsbaugesellschaften endlich in die Puschen kommen und soziale Wohnungen bauen.« Damit trifft Breitner einen wunden Punkt. Mit 4500 neuen kommunalen Wohnungen im Jahr 2019 wird zwar auch in Berlin inzwischen viel mehr gebaut, aber zur Bewältigung der Wohnungskrise reicht das nicht. Und wie an der Spree sind auch in Hamburg Bauträger mit höheren Baukosten, mangelnden Baukapazitäten sowie gestiegenen Grundstückspreisen konfrontiert. All das macht Bauen teurer und lässt am Ende die Mieten weiter steigen.

Das spüren auch die Hamburger Mieterinnen und Mieter im Portemonnaie, die einen immer größeren Anteil ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aufwenden müssen. Nicht zuletzt deshalb ist unter den Hansestädtern die Zustimmung zu einem Mietendeckel hoch: 69 Prozent der Befragten würden ihn nach einer repräsentativen Umfrage auch an der Elbe begrüßen.

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