Gefährliche Geschichtsfälschung

Wolfgang Hübner über Vorwürfe Estlands gegen Russland

Dass im Umfeld historischer Jubiläen Geschichte umgedeutet wird, gehört zur politischen Folklore. Wer die Hoheit über die Geschichtsdeutung hat, beherrscht auch aktuelle Diskurse. Insofern verwunderte es schon nicht mehr, wenn - wie jetzt geschehen - das estnische Parlament der Sowjetunion eine entscheidende Mitverantwortung für den Zweiten Weltkrieg zuschiebt. Moskau wird wegen des Nichtangriffspakts mit Deutschland von 1939 sogar als ein Hauptinitiator des Krieges bezeichnet.

Das ist eine dreiste, irrsinnige Geschichtsfälschung, die sich nur aus einstigen innersowjetischen Konflikten und aus dem auf dem Baltikum grassierenden Russenhass und Antikommunismus erklärt. Denn Stillhalteverträge hatten auch andere Länder mit Hitlerdeutschland geschlossen; der Westen lieferte den Faschisten noch vor dem Krieg Österreich und Teile der Tschechoslowakei aus - in der irrigen Hoffnung, selbst von Hitlers Expansion verschont zu bleiben. Und als die Wehrmacht die Sowjetunion überfiel, ging die Hilfe des Westens kaum über Eigennutz hinaus.

Man kann und muss die damalige Politik kritisch beleuchten, auch die der Sowjetunion. Sie aber als einen Haupttreiber des schlimmsten Krieges aller Zeiten hinzustellen, ist eine falsche, infame und bis heute gefährliche Verdrehung historischer Tatsachen in ihr Gegenteil.

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