»Die Bevölkerung macht Druck«

Izaskun Landaida vom baskischen Fraueninstitut Emakunde über den Ursprung von Gewalt gegen Frauen, Strategien gegen Femizide und ein ausgezeichnetes Gesetz

  • Carmen Negrete
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Baskenland wurde vergangenes Jahr keine einzige Frau von ihrem Partner oder Expartner ermordet. Wie kam es zu dieser erfreulichen Entwicklung?
Von 2011 bis 2018 wurden jedes Jahr zwei oder drei Frauen ermordet. 2019 war dann das erste Jahr ohne Femizid, seit wir die Statistik 2003 angefangen haben. Unsere Arbeit der letzten 17 Jahre hat sich gelohnt. Wobei viele dazu beigetragen haben. Die Gesellschaft ist sich des Problems der Gewalt bewusst geworden, die Institutionen sind besser koordiniert, Frauen haben sich ermächtigt. Auch Männer verändern sich, lernen dazu. Während Gewalt bis vor 15 Jahren noch als private Angelegenheit galt, ist Gewaltschutz nun ein öffentliches Anliegen. Gleichzeitig folgt eine junge Generation von Frauen der Tradition des Feminismus und tritt immer selbstbewusster auf. Die Strafanzeigen deuten aber darauf hin, dass wir wachsam bleiben müssen.

Welchen Beitrag hat dazu das Fraueninstitut Emakunde geleistet?
Wir versuchen zum einen, präventiv zu arbeiten, also Rechtsverletzungen gegen Frauen zu vorzubeugen. So sind wir sehr bemüht, Gleichstellungspolitik mitzugestalten, indem wir zusammen mit den öffentlichen Verwaltungen und der gesamten Gesellschaft arbeiten. Zum anderen versorgen wir Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, im Nachhinein. Ihnen bieten wir direkte Hilfe an. Wir sind der Auffassung, dass die Betroffenen im Mittelpunkt stehen müssen. Wir müssen sie fühlen lassen, dass sie nicht alleine sind. Unser Ziel ist es, Betroffene zu beraten, Frauen zu ermächtigen und alle Menschen für das Problem zu sensibilisieren. Dazu führen wir Öffentlichkeitskampagnen durch, bilden Beamte und Mitarbeitende privater Firmen im Bereich Geschlechtergleichheit weiter, vergeben Fördergelder und Stipendien, koordinieren die Arbeit verschiedener Akteure, beraten die Regierung und setzen eigene Forschungsvorhaben um.

Izaskun Landaida
Izaskun Landaida leitet seit 2003 das Fraueninstitut Emakunde, eine autonome Einrichtung für Gleichstellungspolitik der baskischen Regierung mit Sitz in Vitoria-Gasteiz. Zuvor war Landaida für die konservative baskisch-nationalistische Partei PNV Bürgermeisterin des Ortes Ugao-Mirabelles. Sie wurde 1969 geboren und studierte Sozialwissenschaft sowie Gender Studies.

Was können andere feministische Akteure vom Fraueninstitut Emakunde lernen?
Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, die feministische Arbeit verschiedener Ebenen miteinander zu verzahnen: von der Regierung, den Provinzen, den Rathäusern, feministischen Organisationen und Teilen der Gesellschaft. Das hat dazu beigetragen, dass wir vom Fraueninstitut als professionelle Ansprechpartnerin für Gleichheitspolitik angesehen werden, und das auch im Hinblick auf Gewaltprävention. Im Jahr 2005 wurde im Baskenland dann das spanienweit erste »Gesetz für die Gleichheit von Frauen und Männern« verabschiedet. Es wurde sogar von den Vereinten Nationen mit einem Preis ausgezeichnet.

Was ist das Besondere an dem Gesetz?
Das Innovative daran ist, dass es die Überwindung von Gewalt gegen Frauen unter den Begriff der Gleichheit und Gleichheitsstellung einordnet. Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles und globales Problem, das sich auf vielen Ebenen äußert. Doch der Ursprung von Gewalt gegen Frauen ist immer ein Mangel an Gleichheit. Wenn wir die Ungleichheit nicht angehen, bekämpfen wir nur die Symptome, und nicht die Gründe und die Werte, die Gewalt hervorrufen. Mit dieser ganzheitlichen Perspektive haben wir bei uns im Institut auch Programme für Kinder geschaffen. Zum Beispiel das Bildungsprogramm »Nahiko« oder das Jugendprogramm »Beldur Barik« und auch eins für Männer namens »Gizonduz«. Seit es dieses Gesetz gibt, werden nicht nur Ressourcen vom Zentralstaat und den Region zur Verfügung gestellt, sondern auch von anderen Stellen.

Was macht das Baskenland noch zu einem Vorreiter?
Eine Besonderheit im Baskenland ist sicher, dass hier die sozialen Bewegungen immer viel Kraft hatten. Das spiegelt sich auch in der Geschichte der feministischen Kämpfe wider. Außerdem ist Gewalt gegen Frauen in allen Ressorts der baskischen Regierung ein Thema. Die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Verwaltungsebenen erachte ich als extrem wichtig. Bereits seit 1999 steht den Rathäusern hier eine Regelung zur Verbesserung der Situation der Opfer zur Verfügung.

Das Baskenland ist eine ziemlich wohlhabende Region. Spielt das auch eine Rolle?
Die Statistiken zeigen, dass Gewalt gegen Frauen kein exklusives Problem einer sozialen Schicht oder ökonomische Klasse ist, sondern überall vorkommt. Mit dem Wohlstand Einzelner hat Gewalt nichts zu tun. Es ist ein Querschnittsproblem der Gesellschaft. Statt Reichtum würde ich vielmehr das wachsende Bewusstsein unserer Gesellschaft würdigen, das beispielsweise bei der massiven Mobilisierung zum Frauenstreik am 8. März letztes Jahr zum Ausdruck kam. Neuste Umfragen zeigen außerdem, dass die Menschen hierzulande höhere Ansprüche im Hinblick auf Gleichheit entwickelt haben. Die Auswertung des Gesetzes für Gleichheit hat auch gezeigt, dass die Bevölkerung Druck macht, damit alle wachsam gegenüber Gewalt an Frauen bleiben. Diese Herausforderung ist groß, denn sie erfordert, dass alle Menschen sich angesprochen fühlen: Jeder und jede kann in seinem oder ihren Rahmen dazu beitragen, dass Ungerechtigkeit aufhört.

Für ganz Spanien gibt es einen »Staatspakt gegen geschlechtsspezifische Gewalt«. Was ist das?
Das ist eine umfangreiche Absichtserklärung der Zentralregierung, die den Kampf gegen Gewalt zur obersten Priorität des Staates erhoben hat. Eines seiner wichtigsten Elemente ist, dass Gewaltbetroffenen ein integrales Hilfsangebot gemacht wird. Gesetzte werden geändert, damit Täter nicht mehr straflos davonkommen. Täter sollen kontrolliert werden, nicht nur von der Justiz und der Polizei, sondern auch von der Gesellschaft. Es gibt mehr juristische Mittel, Fachgruppen für eine integrale forensische Analyse, psychosoziale Teams sowie mehr Treffpunkte für Betroffene. Auch die Rechte minderjähriger Opfer werden gestärkt. Es werden Fachkräfte ausgebildet, die in der Prävention, bei der Behandlung und Entschädigung der Opfer arbeiten werden.

Wie wirkt sich dieser Pakt im Baskenland aus?
Der Pakt wirkt sich sehr positiv aus, weil er die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen zum Staatsziel erklärt hat. Er ist für uns ein Zusatzwerkzeug im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Aber man sollte hinzufügen, dass in den meisten spanischen Regionen, ebenso im Baskenland, auch schon vor dem Staatspakt sehr strukturiert gearbeitet wurde. Viele Maßnahmen, die der Pakt jetzt vorsieht, waren hier bereits eingeführt. Es hat also viel Vorarbeit und Vorschläge für alle Ebenen gegeben. Wir sind nicht bei Null gestartet. Aber die Vereinbarungen und dass alle zusammen daran arbeiten, ist trotzdem ein sehr wichtiger Prozess. Er hat gezeigt, wo Ursachen und Herausforderungen liegen, was die Folgen sind und welche Strategien sinnvoll sind.

Warum gibt es trotz der vielen Kampagnen und Erfolge im Baskenland ebenso wie in Spanien immer noch Gewalt gegen Frauen?
Weil es sich um eine globales, strukturelles und multidimensionales Problem handelt. Die Wurzel ist Ungleichheit und die gibt es nach wie vor. Man sollte nicht nur auf die Spitze des Eisbergs schauen. Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das sich tief in unsere Gesellschaft eingenistet hat: in unsere Werten, unseren Glauben, selbst in unsere Bildung. Um die Gewalt vollständig zu beseitigen, müssen wir eine Gesellschaft bauen, in der es mehr Gleichheit zwischen den Menschen gibt. Das ist etwas, was man nicht von heute auf morgen erreichen kann, und auch nicht mit Maßnahmen, die sich auf einen bestimmten Bereich konzentrieren. Gegen Gewalt an Frauen gibt es keine Zauberformel, sondern allein ausdauernde Arbeit: Man muss weiterhin das Bewusstsein wecken, ausbilden, pflegen, absichern ... Und dafür braucht man die gesamte Gesellschaft.

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