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Wer mehr testet, bekommt andere Zahlen

Unterschätzte Infektionen lassen Corona-Sterblichkeit höher erscheinen.

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Infektionen mit dem neuen Coronavirus nehmen auch in Deutschland weiter zu. Immerhin hat sich das Wachstum aktuell etwas verlangsamt. Der Zeitraum, innerhalb dessen sich die Zahl der Neuinfektionen verdoppelt, hat sich Ende März wieder auf fast neun Tage vergrößert. Offenbar ein erstes Ergebnis der Kontaktbeschränkungen.

Mag diese Entwicklung folgerichtig sein, ein anderes Phänomen ist auf den ersten Blick weniger einleuchtend: die nach wie vor relativ geringe Fallsterblichkeit, also das Verhältnis der Verstorbenen zur Zahl der diagnostizierten Infektionen. Die lag Ende März nach Angaben des Centre for Evidence-Based Medicine der Uni Oxford noch bei 1,1. In Italien war sie da zehnmal höher und auch Spanien mit 8,9, Frankreich mit 6,8 und Schweden mit 4,8 lagen deutlich höher.

Das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) warnt gleichwohl, die vergleichsweise geringe Sterblichkeit in Deutschland solle niemanden in falscher Sicherheit wiegen. »Das liegt in erster Linie daran, dass wir so viele Menschen testen. Dadurch haben wir auch die leichteren Verläufe in der Statistik«, erläuterte RKI-Präsident Lothar Wieler. Und es sei von viel mehr Menschen bekannt, dass sie infiziert sind. Das bedeutet, es gibt weniger Todesfälle im Vergleich zu den registrierten Infektionen. In Italien und Spanien wurden anfangs vor allem Schwerkranke und Verstorbene getestet, so dass vermutlich eine viel größere Zahl harmlos verlaufener Infektionen nicht in der Statistik auftaucht. »Außerdem hängt der Anteil der Verstorbenen maßgeblich von den betroffenen Menschen ab. Zunächst waren in Deutschland vornehmlich Menschen betroffen, die nicht zu den Risikogruppen zählen, denn viele Übertragungsketten standen in Verbindung zum Beispiel mit Skiurlauben. Wenn mehr Übertragungen in Altenheimen oder Krankenhäusern stattfinden, steht zu befürchten, dass der Anteil steigt.«

Die Bonner Ökonomen Christian Bayer und Moritz Kuhn haben jenseits der statistischen Probleme noch eine soziale Hypothese für die krassen Unterschiede zwischen Deutschland, Österreich oder Schweiz auf der einen Seite und Italien sowie Spanien auf der anderen: Sie kommen in einer Vergleichsanalyse zu dem Schluss, dass in den beiden südlichen Länder wegen der dort engeren Verbindungen zwischen den Generationen das Virus schneller auf die Hauptrisikogruppe der Großeltern und Urgroßelterngeneration überspringen konnte.

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