Nicht sterben, nicht lieben

Was in Sachen Liebe so schiefläuft: Liv Strömquists neuer Comic »Ich fühl’s nicht«

  • Marie Hecht
  • Lesedauer: 4 Min.

Liv Strömquist, wie immer selbst auf dem Cover ihrer Comics, trägt eine glänzende Bomberjacke mit einem herzförmigen Aufnäher auf dem Rücken. Darauf steht: »Ich fühl’s nicht«. Das ist nicht nur eine Kritik, sondern auch ein Eingeständnis. »Ich fühl’s nicht« ist der bisher umfangreichste ihrer vier Comics, denn er handelt von einem der wohl komplexesten Gefühle: der Liebe. Beziehungsweise von der Unfähigkeit zu lieben.

Während ihr zweiter Comic »Der Ursprung der Liebe« noch in der Analyse von Beziehungsmustern verweilte und das schon so oft von Feminist*innen dekonstruierte Konzept der romantischen Liebe erneut hinterfragte, ist »Ich fühl’s nicht« eine gleichwohl profunde wie erhellende Kritik an der spätkapitalistischen Gesellschaft, die Gefühle zu Konsumgütern macht.

Fangen wir doch einfach ganz vorn an - mit Leonardo DiCaprio. Der fühlt’s nämlich auch nicht. Er, mit 90er-Jahre-Boyband-Mittelscheitel und verschmitztem Lächeln, ist mit einer Frau nach der nächsten zusammen, alle Bikini-Models und alle auffallend ähnlich gezeichnet. Bis DiCaprio dann quer über die Seiten 10 und 11 am Boden liegt. In steifer Körperhaltung, gefühllos, kalt, unbeeindruckt - unmenschlich. DiCaprio dient der Zeichnerin Strömquist hier als lebendes Beispiel für die Liebe als eine Ware: als den Konsum von Menschen, ohne große Gefühle. Und sie stellt fest: »Wir sind alle DiCaprio.« Autsch!

Man könnte annehmen, dass Strömquist nach vier Büchern nichts Neues mehr offenbaren würde, aber die Kritik geht ihr keineswegs aus und der Witz auch nicht verloren. Die schwedische Autorin überrascht mit zunächst absurd erscheinenden Thesen und Zusammenhängen. So vergleicht sie Verliebte mit einem Dönerspieß, der sich gleichwohl machtlos um die eigene Achse dreht.

Oder sie schreibt, dass wir nicht lieben können, weil wir so schlecht im Sterben sind: »Die Liebe ist ein absoluter Schluss. Sie ist absolut, weil sie den Tod, die Preisgabe des Selbst voraussetzt.« Dazu seien wir unfähig geworden. Gnadenlos hält uns die studierte Politikwissenschaftlerin den Spiegel vor, sodass sich auch queerfeministische Know-it-alls in ihrer kritischen Meckermanier ertappt fühlen und zugeben müssen, dass - trotz heteronormativen Fokus - an Strömquists Ausführungen durchaus einiges dran ist.

Das recherchierte Material, mit dem die Zeichnerin in ihrem neuen Comic hantiert, ist immens. Theorien der Philosoph*innen Eva Illouz und Byung-Chul Han bilden das Fundament der fünf Thesen von »No Love«, mit dem uns Strömquist mit ihren vornehmlich schwarz-weißen Zeichnungen durch den Comic leitet. Ausführungen von weiteren Philosoph*innen wie Søren Kierkegaard, Rumi oder Marsilio Ficino ergießen sich in die Sprechblasen, ergänzt mit hinduistischer und griechischer Mythologie, Erkenntnissen aus den Biografien der Schriftstellerin Hilda Doolittle oder der Bluespianistin Lovie Austin und Erzählungen zahlreicher Größen der Kulturgeschichte.

Erholung von all diesen Eindrücken versprechen nur die raren farbigen Seiten, die hingebungsvoll der Liebe huldigen. Beispielsweise lieblich lächelnde Delfine, die durch das Rosa des Sonnenuntergangs tanzen. Derweil proklamiert Erich Fromm, nicht weit entfernt vom Star-Wars-Wurm Jabba the Hutt, den Schlümpfen und Miraculix, leidenschaftlich: »Die Liebe ist eine Macht, die Liebe erzeugt!« In diesem Comic ist eben alles möglich. Auch die Erkenntnis, dass dieser Wirrwarr aus Philosophie, Popgeschichte, Mythologie und tiefgreifender soziologischer Analyse, erzählt in stringenten Überlagerungen und Brüchen, am Ende zu einem eindeutigen Schluss führt: Liebe ist verrückt, ineffizient, zeitverschwendend, aufopfernd, unsinnig und rätselhaft. Kurz gesagt, sie macht Spaß - und für spaßigen Schabernack hat der Kapitalismus wenig übrig.

Was »Ich fühl’s nicht« von Liv Strömquist so besonders macht, ist die gleichzeitig tiefe emotionale Auseinandersetzung und doch auch wissenschaftliche Analyse der Autorin der Folgen eines ausbeuterischen Gesellschaftssystems auf unser Liebesleben, ohne zu verurteilen oder zu verhärten. Diese Hingabe macht Strömquists Comics einzigartig. »Ich fühl’s nicht« ist ein Wissensorgasmus der feinsten Art, und letztendlich ist ein Comic wie die Liebe selbst: komplex, nicht linear, hingebungsvoll, intensiv, fantastisch und in der Entstehung ganz schön rätselhaft.

Liv Strömquist: »Ich fühl’s nicht«. A. d. Schwed. v. Katharina Erben. Avant, 176 S., br., 20 €.

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