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Arbeitsschutz wird oft nicht eingehalten

Trotz strenger Alltagseinschränkungen zum Schutz vor Corona werden Maßnahmen in Betrieben missachtet

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Verlautbarung der IG Metall-Geschäftsstelle Zwickau weckt Zweifel, dass auch in Fabriken genug gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie getan wird: »Während das öffentliche Leben größtenteils zum Erliegen gekommen ist, wird in etlichen deutschen Betrieben weiter Schulter an Schulter produziert, als würde es keine Pandemie geben«, bemängelt der Erste Bevollmächtigte Thomas Knabel der IG Metall in Zwickau. »Das gefährdet die Gesundheit der Betroffenen.«

Knabel stützt sich auf Berichte von Arbeitern aus kleineren Firmen im südwestlichen Sachsen. In ihnen drückt sich die Angst vor Ansteckung im Produktionsalltag aus. Während Manager im bequemen Homeoffice die Produktion lenken, kann kein Arbeiter im Blaumann Werkbank, Material oder Gabelstapler mit nach Hause nehmen. Homeoffice ist für rund drei Viertel aller abhängig Beschäftigten keine Option.

So stellt sich für Millionen, die derzeit wie gewohnt arbeiten gehen, die Frage: Reichen die Schutzmaßnahmen gegen das Virus aus? Ist der Sicherheitsabstand gewahrt? Sind die Stühle in der Kantine weit genug auseinander? Sind Schutzmasken, Hygienevorrichtungen, Desinfektionsspender und Handwaschbecken vorhanden? Sind die Schichtpläne so weit entzerrt, dass man bei Schichtwechsel in den Umkleideräumen nicht aufeinander trifft?

Unternehmer haben eine gesetzliche Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten und sind nach dem Arbeitsschutzgesetz und Bürgerlichen Gesetzbuch für Schutzmaßnahmen zur Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit verantwortlich. Doch die betriebliche Praxis sieht gerade auch in Coronazeiten oftmals anders aus. »Während viele Betriebe notwendige Schutzmaßnahmen ergriffen haben, um die Infektion zu verlangsamen, sind zahlreiche Betriebe dem noch nicht oder nicht ausreichend nachgekommen«, so eine Sprecherin des Dresdener Wirtschaftsministeriums auf nd-Anfrage. Da die Pandemie allen Betrieben Schutzmaßnahmen abverlange, sei derzeit eine breite Überwachung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht möglich. Die behördliche Überwachungstätigkeit konzentriere sich nun darauf, Beschwerden von Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen nachzugehen, so die Sprecherin. Seit Mitte März seien täglich im Schnitt drei Beschwerden eingegangen. »Zu Betriebsschließungen ist es noch nicht gekommen«, erklärte die Sprecherin.

Weitere Maßnahmen in Betrieben zur Verhinderung einer zweiten Infektionswelle mahnt auch DGB-Chef Reiner Hoffmann an. Es könne nicht angehen, dass man »zehn Leute in einem VW-Bus eingepfercht zur Baustelle schickt«, so Hoffmann am Dienstag im Deutschlandfunk. Gewerkschaftssekretäre wie Thomas Knabel haben derzeit alle Hände voll zu tun, um Mitglieder individuell zu beraten und Betriebsräten bei Regelungen zu Kurzarbeit und Gesundheitsschutz zur Seite zu stehen. Für Knabel stellt sich das Problem der Gesundheitsgefährdung vor allem in kleineren Firmen ohne Betriebsrat. »Arbeitsschutz ist ohne Mitbestimmung immer ein Problem«, so seine Erkenntnis.

Ein Betriebsrat hat laut Betriebsverfassungsgesetz Mitbestimmungsrechte bei der Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten sowie beim Gesundheitsschutz und muss die Einhaltung von Vorschriften kontrollieren. Ohne Betriebsrat fehlt der Vertragspartner für Betriebsvereinbarungen und die Instanz, die auf Einhaltung von Schutzvorschriften pochen könnte. Zwar hat auch in betriebsratslosen Unternehmen der Arbeitgeber die Arbeitnehmer bei Maßnahmen mit Auswirkungen auf Sicherheit und Gesundheit der Angestellten zu erhören. Doch ohne gewählte Interessenvertretung ist dies schwieriger. Dabei wurden zuletzt in Westdeutschland nur 42 Prozent und in Ostdeutschland nur 35 Prozent der Beschäftigten in Privatbetrieben von einem Betriebsrat vertreten.

Was geschieht, wenn die Betroffenen gleichzeitig Angst um ihre Gesundheit und um ihren Job haben und den Mund halten? Inspizieren dann die zuständigen Ämter und Stellen wenigstens stichprobenartig die Verhältnisse im Betrieb? »Das nehmen wir nicht wahr«, sagt Thomas Knabel. »Um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern und Infektionsketten zu unterbrechen, sind wir derzeit nur eingeschränkt in den Betrieben vor Ort tätig«, so eine Sprecherin der Berufsgenossenschaft Holz und Metall auf nd-Anfrage.

Das Problem einer allzu seltenen Überwachung ist nicht neu. Wie die Bundesregierung auf Anfragen der Abgeordneten Jutta Krellmann (Linke) mitteilte, sinkt die Zahl der Kontrolleure bei Gewerbeaufsicht, Berufsgenossenschaften und Unfallkassen seit Jahren, während die Zahl der Beschäftigten deutlich gestiegen ist. »Viele Arbeitgeber drücken sich um den Arbeitsschutz und der Staat zieht sich weiter zurück«, kritisiert Krellmann. Sorgen bereitet ihr auch, dass sich viele Beschäftigte aus Angst und Pflichtgefühl krank zur Arbeit schleppten. Dieses Phänomen - auch »Präsentismus« genannt - könne in Corona-Zeiten besonders gefährliche Auswirkungen haben, so ihre Warnung.

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