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Entlassungen in Lieferando-Streikwelle

Gewerkschaft warnt vor Einsatz prekär Beschäftigter durch Subunternehmen

  • Felix Sassmannshausen und Christian Lelek
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Jahren kämpft die Gewerkschaft NGG für einen Tarifvertrag bei Lieferando. Das Unternehmen plant nun Massenentlassungen.
Seit Jahren kämpft die Gewerkschaft NGG für einen Tarifvertrag bei Lieferando. Das Unternehmen plant nun Massenentlassungen.

In einer Chatgruppe wird verzweifelt nach Angestellten gesucht. »Ich brauche 20 bis 30 Fahrer«, heißt es in einer Nachricht. Der Bericht ist auf Englisch verfasst: Die meisten Arbeiter*innen für diese Jobs nahe der Mindestlohngrenze sprechen kaum Deutsch. Sie sollen bis zum Wochenende einsatzbereit sein, um erneute Stornierungen zahlreicher Bestellungen zu verhindern – wie schon in den vergangenen Wochen. Absender ist ein Account namens »Kurierunternehmen«, der angibt, Fahrer*innen für das Start-up Fleetlery zu rekrutieren.

Die in Hamburg registrierte GmbH wurde laut Northdata 2024 von Giglery in Fleetlery umbenannt. Das Subunternehmen vermittelt Picker*innen und Kurier*innen an Lieferdienste und Supermärkte – Fahrer*innen, die Bestellungen abholen und zu Kunden bringen. Viel mehr ist über die Firma öffentlich nicht bekannt. Auch in der Hamburger Bürgerschaft weiß man noch nichts Genaueres.

Die Gewerkschaft NGG kritisiert, dass mittels solcher Subunternehmen ehemalige Festangestellte von Lieferdiensten wie Lieferando unter prekären Bedingungen wieder angestellt werden. Dem Gesamtbetriebsrat von Lieferando Takeaway Express zufolge häuften sich Berichte über »eklatante Rechtsverstöße« bei Dienstleistern. »Ob diese sich an Recht und Gesetz halten, ist in der Praxis kaum zu kontrollieren«, bemängelt er. Durch intransparente Abrechnungen und Bargeldauszahlungen werde häufig auch der Mindestlohn unterlaufen.

Massenentlassung in Streikwelle

Hintergrund für die Warnung ist, dass Lieferando der Gewerkschaft zufolge 2000 Stellen abbauen will – die meisten in Hamburg, wie aus einer Stellungnahme vom Donnerstag hervorgeht. »Die Betroffenen wurden per E-Mail informiert«, heißt es. Auffällig sei, dass vor allem Städte mit Betriebsräten betroffen seien. Die Mitteilung erfolgte während einer bundesweiten Streikwelle beim Lieferdienst, die am Freitag auch Frankfurt am Main erreichte.

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Interne Dokumente, die »nd« vorliegen, zeigen zudem Pläne, Standorte in 34 Städten zu schließen und in elf weiteren zu verkleinern. Ein Fünftel der Fahrer*innen soll von Kündigungen betroffen sein, heißt es in dem Strategiepapier vom Juli. Bereits in den vergangenen Monaten hatte Lieferando in Berlin viele befristete Verträge nicht verlängert oder Fahrer*innen entlassen. Die NGG spricht von rund 500 Betroffenen. Lieferando bestreitet die Zahl.

Aufträge an Subunternehmen

Ein Sprecher der Lieferando-Marktplatzgesellschaft erklärte auf Anfrage, die Umstellung solle erst Ende des Jahres beginnen. Betroffene Mitarbeiter*innen würden mit einem Sozialplan unterstützt, »in Zusammenarbeit mit dem Gesamtbetriebsrat«. Der Lieferando-Service solle durch »zusätzliche Flottenpartner« optimiert werden. Das sei angesichts des Markt- und Wettbewerbsumfelds notwendig. Dabei gebe es einen »strengen Auswahlprozess« für Subunternehmen, um sicherzustellen, dass Fahrer*innen korrekt angestellt und bezahlt werden.

Unter diesen Partner*innen ist auch Fleetlery, bei dem nunmehr ehemalige Lieferando-Beschäftigte zu schlechteren Bedingungen arbeiten sollen, wie zwei voneinander unabhängige Quellen bestätigen. Dass zu dem Zweck auch Kontaktdaten weitergeleitet worden seien, weist Lieferando zurück. Und die von der NGG kritisierten Bargeldzahlungen gibt es. Das belegen Gespräche mit Beschäftigten, die durch Chatverläufe gestützt werden, die »nd« vorliegen. Auf Anfragen reagierte das Unternehmen nicht.

Auch vor diesem Hintergrund fordert der Gesamtbetriebsrat von Takeaway Express Lieferando dazu auf, »seriöse, feste Beschäftigungsverhältnisse in der Lieferdienstbranche« zu schaffen. Die NGG verlangt nicht nur einen Tarifvertrag, sondern auch, dass Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) diesen für allgemeinverbindlich erklärt. Zudem könne ein Direktanstellungsgebot wie in der Fleischindustrie verhindern, dass ein »Sumpf aus Subunternehmen« entsteht, fordert der Betriebsrat die Berliner Politik zum Handeln auf.

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