Abkehr vom Marktradikalismus

Robert D. Meyer warnt davor, die aktuelle Schwäche der AfD in der Sonntagsfrage überzubewerten

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Corona bringt vieles durcheinander – auch die Pläne der Parteien. Ohne die aktuell geltenden Kontaktbeschränkungen hätte sich die AfD vergangenes Wochenende in Offenburg zu ihrem lang erwarteten Sozialparteitag getroffen. Doch dieser wurde verschoben, zum wiederholten Mal.

Jörg Meuthen dürfte darüber nicht ganz unglücklich sein, bleibt ihm doch damit gleich eine doppelte Niederlage erspart. Der Co-Bundeschef ist angezählt, seitdem er den völkischen Nationalisten um Björn Höcke und Andreas Kalbitz Anfang April via Interview eine Parteiabspaltung empfahl. Der Bundesvorstand beließ es formal bei ein paar mahnenden Worten, doch der interne Druck war so groß, dass Meuthen versprechen musste, sich für die Geschlossenheit der Partei einzusetzen.

In Offenburg wäre ihm sein Vorstoß trotzdem um die Ohren geflogen. Viele Mitstreiter legen ihm sein Interview als Verrat an der AfD aus, deren bisheriger Erfolg stark darauf beruht, innere Widersprüche auszublenden. Auf Dauer kann das für eine Partei, die von sich behauptet, Regierungsverantwortung anzustreben, aber nicht gutgehen.

Einem dieser großen Widersprüche wollte sich die AfD in Offenburg nun endlich stellen und ein sozial- und rentenpolitisches Konzept verabschieden. Der dazu vorgelegte Leitantrag wurde von der Parteispitze zwar als Kompromiss zwischen Marktradikalen und Sozialstaatsnationalisten verkauft, Letztere haben sich in Wahrheit aber weitestgehend durchgesetzt. Von Meuthens Idee, dass Umlagesystem der gesetzlichen Rente abzuschaffen, ist nichts übrig geblieben.

Stattdessen geht es nun um Rentenbeitragserstattungen für kinderreiche (deutsche) Familien, ein dreijähriges Betreuungsgeld sowie ein staatliches Spardepot für Kinder. Selbstständige und Beamte sollen zudem stärker in die gesetzliche Rente einbezogen werden. Marktradikal ist daran nichts. Dafür strotzt der Leitantrag vor Phrasen aus dem Baukasten nationalistischer Propaganda, etwa beim Bekenntnis »zur Solidarität und gegenseitigen Hilfe innerhalb unseres Volkes«.

Für die AfD könnte es sich mittelfristig als richtig erweisen, nicht den Weg der markradikalen Kräfte zu gehen. Sollte sich die Bundesregierung entscheiden, die enormen Kosten der Coronakrise in den nächsten Jahren unter anderem durch Kürzungen im Sozialbereich zu finanzieren, um damit das Dogma der schwarzen Null im Haushalt wieder herzustellen, könnte sich die AfD als sozialnationalistisches Gegengewicht inszenieren, so wie es etwa der Rassemblement National in Frankreich tut.

Falsch ist es in diesem Zusammenhang, die aktuellen Verluste der AfD in der Sonntagsfrage als Erfolg im Kampf gegen die extreme Rechte zu bewerten. Keine Umfrage zur Bundestagswahl sieht die Partei bei weniger als neun Prozent. Ein Wert, der etwa ihrer Stammwählerschaft entspricht. Dieser harte Kern interessiert sich nicht sonderlich dafür, ob die Partei eines Tages in ihrer Gesamtheit zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes wird, gilt die Behörde innerhalb der extremen Rechten doch ohnehin als angebliches Unterdrückungsinstrument der Regierung gegen die Opposition.

Fraglich ist aber, ob sich die AfD dauerhaft mit einem Status als Zehn-Prozent-Partei zufriedengeben könnte. Wahlerfolge sind ein wichtiger Kitt, um eine Partei zusammenzuhalten, in der sich machtpolitische Bündnisse oft danach ausrichten, wer wem gerade am meisten nützt. So hat die Marktradikale und einstige vehemente »Flügel«-Kritikerin Alice Weidel ihren Frieden mit den Völkischen gemacht, während Meuthen seit Monaten den entgegengesetzten Weg beschreitet und seitdem eine Niederlage nach der anderen kassiert.

Doch hat der formal inzwischen aufgelöste »Flügel« nicht auch zuletzt einstecken müssen? Höcke erhielt für seine »ausschwitzen«-Äußerung eine folgenlose »Missbilligung« des Bundesvorstandes, Kalbitz muss seine weitestgehend bekannten Kontakte in rechtsextreme Kreise fein säuberlich zu Papier bringen. Richtiger Ärger?

Unwahrscheinlich. AfD-Übervater Gauland attestierte Höcke noch im Herbst 2019, er rücke die Partei nicht nach rechts, er sei die »Mitte der Partei«. Auch Co-Parteichef Tino Chrupalla arbeitet sich momentan lieber an Meuthen ab. Sein Name steht unter einer »Dresdner Erklärung«, die dazu aufruft, nur noch jene zu fördern, die sich »unmissverständlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen«.

Sicher ist: Die AfD steckt in keiner existenziellen Krise. Ihre aktuelle Schwäche ist relativ und die Gefahr besteht, dass sie am Ende gestärkt aus der Coronoakrise hervorgeht.

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