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  • Präsenzunterricht in Berlin

Die Musterhygieneplanwirtschaft

Der Präsenzunterricht an den Schulen wird seit Montag schrittweise wieder hochgefahren

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Montag drücken Berlins Zehntklässler nach sechs Wochen coronabedingter Zwangspause wieder die Schulbank. Und zumindest an der Heinz-Brandt-Schule in Pankow geht die Rückkehr in den sogenannten Präsenzbetrieb noch »sehr beschaulich« vonstatten, wie Schulleiterin Miriam Pech berichtet. Die etwas mehr als 100 Schüler der zehnten Jahrgangsstufe werden an der Integrierten Sekundarschule im Ortsteil Weißensee nun erst einmal in Achtergruppen unterrichtet, im Vormittags- und Nachmittagsschichtbetrieb. Der viel befürchtete Hygiene-Gau ist dabei, so Pech, ausgeblieben - vorerst wenigstens.

Drei Tage vor dem schrittweisen Wiederhochfahren des Schulbetriebs hatte die Senatsbildungsverwaltung am Freitag noch schnell einen »Musterhygieneplan Corona für die Berliner Schulen« herumgeschickt. Darin enthalten sind Aufforderungen, für Abstandsregeln auf dem Pausenhof und im Klassenzimmer zu sorgen und ein »den spezifischen räumlichen Gegebenheiten angepasstes Konzept zur Wegeführung« in den Schulgängen zu entwickeln. »Das haben wir alles gemacht«, sagt Schulleiterin Pech. »Interessant wird es nächste Woche, wenn die neunten Klassen hinzukommen.« Das sind an der Brandt-Schule weitere 120 Jungen und Mädchen.

Sorge bereitet Pech dabei auch der Personalstand. Ein Viertel des Lehrerkollegiums gehört zu »Risikogruppen« und kann nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden. »Da kommen auch wir an unsere Kapazitätsgrenzen.« Die Schulleiterin ist mit Blick auf die ausgedünnte Personaldecke daher »absolut glücklich«, dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) in der letzten Woche immerhin die schriftlichen Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss abgeblasen hat. »Das hätte alle an den Rand ihrer Kräfte gebracht.«

Das sieht auch Pechs Kollege Michael Rudolph von der Friedrich-Bergius-Schule in Tempelhof-Schöneberg so. Dies umso mehr, als die Personalsituation an der von ihm geleiteten Sekundarschule im Ortsteil Friedenau noch einmal deutlich angespannter ist. »Insgesamt fallen 50 Prozent des Kollegiums aus«, sagt Rudolph. Auch deshalb glaube er nicht, »dass wir noch vor den großen Ferien zu einem normalen Schulbetrieb zurückkehren werden«.

Deutsch, Mathe, Englisch - darauf setzt man sowohl an der Bergius- als auch an der Brandt-Schule zunächst den Schwerpunkt, bevor nach und nach andere Fächer mit einbezogen werden. Die komplette Stundentafel werde man im verbleibenden Schulhalbjahr indes nicht mehr abbilden können. Da sind sich Rudolph und Pech sicher.

Im Unterschied zu den beiden Sekundarschulen wird sich der Unterricht am Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium im Lichtenberger Ortsteil Fennpfuhl nicht auf einzelne Fächer konzentrieren. »Zwar haben wir auf die musischen Fächer erst einmal verzichtet, in allen anderen Fächern wird der Unterricht aber stattfinden, da wir die Schüler auf den elften Jahrgang vorbereiten müssen«, sagt Schulleiter Martin Wagner.

Dessen ungeachtet wird es auch hier eng. Seit letzter Woche laufen die Abiturprüfungen, nun werden zusätzlich rund 120 Zehntklässler beschult. Ohne konkrete Zahlen nennen zu wollen, sagt Wagner zur derzeitigen Personalsituation: »Die Ausfälle machen sich schon bemerkbar.« Gerade sei das noch zu bewältigen. Schwieriger könnte es aber werden, wenn es ab nächsten Montag auch für die 135 Schüler der elften Jahrgangsstufe wieder losgeht. »Jetzt konnten die Klassenverbände geviertelt werden, ab nächster Woche müssen wir dritteln«, so Wagner.

Wie überall ist auch am Herder-Gymnasium das Betreten und Verlassen des Schulgebäudes streng geregelt. Auch die regelmäßige Reinigung des Gebäudes und speziell der Toiletten kann laut Wagner dem »Musterhygieneplan« entsprechend durch »zusätzliches Reinigungspersonal« gewährleistet werden.

Nun ist es jedoch so, dass den meisten Berliner Schulen genau dieses zusätzliche Reinigungspersonal fehlt, sagt Philipp Dehne von der Bürgerinitiative »Schule in Not«, die sich seit über einem Jahr für saubere Schulen und gute Arbeitsbedingungen der Reinigungskräfte einsetzt.

Dehne und seine Mitstreiter ärgern sich insbesondere über jenen Passus des »Musterhygieneplans«, in dem gefordert wird, dass »in besonders stark frequentierten Bereichen mehr als einmal täglich« Türklinken und Fenstergriffe, Tische, Lichtschalter, Treppen- und Handläufe »besonders gründlich« gereinigt werden sollen. Das sei alles absolut richtig, sagt Dehne. »Aber wer soll das denn aktuell leisten? Die Lehrkräfte etwa? Oder die Schülerinnen oder Schüler selbst?« Dass viele Schulen ein Hygieneproblem haben, sei ja nicht neu. »Jetzt wird die Dringlichkeit, hier zu einer Lösung zu kommen, aber noch einmal besonders deutlich.« Wie schon so häufig wälze jedoch auch der »Musterhygieneplan« »die Verantwortung wieder einmal auf die Schulen ab«.

Miriam Pech von der Brandt-Schule in Weißensee kann davon ein Lied singen. 2,5 Liter Desinfektionsmittel hat sie jetzt ergattern können - für die gesamte Schule.

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