Nicht nur ein Lungenleiden

Im Verlauf der Covid-19-Pandemie werden Ärzte weltweit auf neue Symptome aufmerksam

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Langsam fügt sich aus verschiedenen Quellen weltweit ein vorläufiges Bild des Covid-19-Verlaufs. Nach Einschätzung von Fachärzten führen etwa 20 Prozent der Infektionen zu einer Lungenerkrankung. Dabei durchlaufen Erkrankte drei Phasen mit unterschiedlich starken Symptomen, wobei nicht alle Patienten stationär aufgenommen werden müssen. In der ersten Phase der Krankheit gelangt das Coronavirus über ein bestimmtes Enzym, das Angiotensin-Converting-Enzym-2, in die Zellen. Dieses findet sich im Herzen, in Lunge, Nieren, den Innenwänden der Blutgefäße (Endothel) sowie im Magen-Darm-Trakt und trägt zur Regulierung des Blutdrucks bei. Es ist ein Rezeptor nicht nur für das aktuelle Sars-CoV-2, sondern auch für die bisher bekannten Coronaviren. In der frühen Infektionsphase zeigen sich Symptome wie Halsschmerzen, Husten, mitunter Geschmacksstörungen und selten Durchfall.

Erst in einer zweiten Phase kommt es zur Erkrankung der Lunge, denn jetzt startet die Vermehrung der Viren in dem Atmungsorgan. Eine virale Lungenentzündung beginnt, Luftnot und Husten sind die Leitsymptome. In dieser Phase werden Covid-19-Patienten überwiegend stationär behandelt, aber nur symptomatisch. Geeignete spezifische Medikamente werden noch gesucht.

Eine dritte Phase setzt ein, wenn das Immunsystem die Viren nicht ausreichend bekämpfen kann. Dann kommt es zu gehäuftem Organversagen, auch der Lunge. Das kann laut der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungstherapie (DGP) bereits eine Woche nach dem Auftreten der ersten Symptome geschehen. Ob es zu einem Lungenversagen kommt, hat offensichtlich viel mit verschiedenen Risikofaktoren zu tun. Dazu zählen hohes Fieber über 39 Grad Celsius oder ob der Erkrankte Raucher ist. Auch gibt es eine Reihe von Begleiterkrankungen, die zu Risikofaktoren werden: Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Asthma, chronische Bronchitis, Lebererkrankungen, Diabetes und Krebs. Zur Risikogruppe zählen zudem Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Werden all diese Faktoren einbezogen, muss etwa jeder vierte Bundesbürger, nämlich 21,9 Millionen Menschen, zumindest statistisch als gefährdet angesehen werden. Bei den über 80-Jährigen wären dies über 80 Prozent.

Ein akutes Lungenversagen im Zuge von Covid-19 bringt außerdem typische Komplikationen mit sich, darunter in 29 Prozent der Fälle akutes Nierenversagen und Erhöhungen der Leberwerte. Die Wahrscheinlichkeit für Schädigungen des Herzens liegt zwischen 23 und 33 Prozent - das können unter anderem Rhythmusstörungen sein oder eine Herzbeutelentzündung. Diese Komplikationen treten erst dann ein, wenn die Lungensymptome bereits rückgängig sind.

Neurologische Symptome im Zusammenhang mit Covid-19 wurden bislang aus verschiedenen Ländern gemeldet. So erlitten in der chinesischen Stadt Wuhan, wo das Virus zuerst auftrat, einige Patienten mit schweren Krankheitsverläufen einen Schlaganfall. Ob dies eine direkte Infektionsfolge ist oder bei Schwerkranken häufiger auftritt, weil sie schon vorher entsprechende Begleitkrankheiten hatten, ist noch unklar. In Tierversuchen konnte ein Infektionsweg der bereits bekannten Coronaviren von der Nasenschleimhaut über Nervenenden bis zum Gehirn nachgewiesen werden. Das passt zum plötzlichen Versagen des Geruchs- und Geschmackssinnes, das in einer europäischen Studie bei über 85 Prozent der untersuchten Covid-19-Fälle beobachtet wurde.

Zuletzt mehrten sich auch Hinweise, dass das neuartige Coronavirus direkt Hirn und Nerven schädigen kann. Schon beim Sars-Ausbruch 2003 wurden bei Autopsien von Patienten die Sars-CoV-1-Viren auch im Gehirn gefunden. Auch bei Covid-19-Patienten im französischen Strasbourg, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten, kam es zu neurologischen Symptomen; es gab vereinzelte Schlaganfälle, zudem Bewusstseinstrübungen und Unruhe mit gesteigertem Bewegungsdrang.

Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin sterben in Deutschland drei von zehn Covid-19-Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Diese Rate entspricht der bei anderen schweren Lungenentzündungen. Auffällig ist, dass die Patienten, die schwer am Coronavirus erkrankt sind, sehr lange, im Mittel 14 bis 21 Tage, intensiv betreut werden müssen. In Großbritannien, wo Patienten erst zu einem späteren Zeitpunkt der Erkrankung auf eine Intensivstation kommen, liegt die Sterblichkeit von maschinell beatmeten Covid-19-Patienten bei über 50 Prozent. Da es noch keine Medikamente gegen das neuartige Coronavirus gibt, kommt es darauf an, die schweren Fälle durch teils invasive Beatmungstherapie in passendem Maße zu unterstützen.

Die in diesem Artikel genannten Daten und Zahlen sind nur Zwischenergebnisse aus der bisherigen Beobachtung und Behandlung von Covid-19-Fällen in Deutschland und international. Teilweise basieren die Erkenntnisse auf kleinen Patientengruppen.

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